Publikationen

Neue Haftungsansätze bei Infektionen in Krankenhäusern und sonstigen medizinischen Einrichtungen unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung des BGH und der Anwendung der KRINKO-Empfehlungen

VersR 24/2019 | Rechtsanwälte Dr. Ruth Schultze-Zeu / Hartmut Riehn / Jana Augustinat, Berlin

I. Die KRINKO-Empfehlungen und deren rechtliche Verbindlichkeit

Wendet sich ein Patient an einen Arzt, ein Krankenhaus oder eine sonstige medizinische Einrichtung und wird er hier behandelt, erwartet er Heilung, Linderung und mindestens Minderung seines Leidens. Jedoch kann diese Erwartung enttäuscht werden. Im Verlauf dieses Kontakts kann ein Hygienemangel eine Infektion auslösen, die vorher nicht bestand, oder gar eine hochgefährliche Sepsis verursachen. Diese Gefahr ist relativ groß. Solche Infektionen gehören zu den häufigsten Entzündungsprozessen überhaupt.

Es ist schwierig, Schadensersatzansprüche durchzusetzen, wenn ein Patient Opfer solcher nosokomialen Infektionen wird. Hierfür gibt es mehrere Gründe:

  • Es ist ihm unbekannt, was die medizinische Einrichtung zur Infektionsprävention unternimmt und welche Maßnahmen sie in der konkreten Behandlungssituation nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft vorzunehmen hat.
  • Der Patient vermag nicht zu beurteilen, welche Infektionsquelle in Betracht kommt.
  • Er weiß nicht, ob es in dem Bereich, in welchem er behandelt worden ist, zu einem erhöhten Auftreten von solchen Krankheitserregern gekommen ist.
  • Relevante Hygieneunterlagen sind für ihn nicht zugänglich.
  • Auch ist ihm unbekannt, welche Hygienestandards die Einrichtung tatsächlich beachtet hat.
  • Trotzdem muss er als Geschädigter sämtliche Voraussetzungen seines Schadensersatzanspruchs beweisen.

§ 23 Abs. 3 S. l IfSG3 verpflichtet die Leiter von Krankenhäusern, Einrichtungen für ambulantes Operieren, Vorsorge- und Rehabüitationseinrichtungen, Dialyseeinrichtungen, Tageskliniken, Entbindungseinrichtungen, Arztpraxen usw. sicherzusteUen, dass die nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft erforderlichen Maßnahmen getroffen werden, um nosokomiale Infektionen zu verhüten und die Weiterverbreitung von Krankheitserregern, insbesondere solcher mit Resistenzen, vermeiden. Diese uneingeschränkte Schutz-, Gewährieistungs- und Einstandspflicht wird mit Abschluss des jeweiligen Behandlungsvertrags zugunsten des Patienten aktiviert und konkretisiert. § 2 Nr. 8 IfSG definiert diese „nosokomialen Infektionen“ folgendermaßen: Es sind Reaktionen auf das Vorhandensein von Erregern, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer stationären oder einer ambulanten medizinischen Maßnahme stehen, wobei sie vorher nicht bestanden.

Wegen des großen Gefährdungspotentials beschränkt sich der Gesetzgeber nicht nur auf das pauschale und allgemeine Gebot, den Stand der medizinischen Wissenschaft zu beachten. Vielmehr sorgt er im Detail und umfassend für die Etablierung eines überaus informativen und verbindlichen Regelwerks, das Behandler und Patienten informiert, welche Maßnahmen unter Beachtung des ärztlichen Fachstandards umzusetzen sind, um Infektionen zu vermeiden. Aus diesem Grund ist gem. § 23 Abs. l S. l IfSG bei dem Robert Koch-Institut (RKI) als Bundesoberbehörde eine staatlich legitimierte Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) eingerichtet worden. Dieses Gremium beschließt medizinische Vorgaben mit Handlungsanweisungen zur Prävention nosokomialer Infektionen, die dann formell im Bundesgesundheitsblatt, das insoweit amtliches Mitteilungsblatt des RKI ist, veröffentlicht werden.

Gemäß § 23 Abs. l S. 6 IfSG werden die Mitglieder der Kommission vom Bundesministerium für Gesundheit im Benehmen mit den obersten Landesgesundheitsbehörden berufen. Sie sind ausgewiesene Experten aus den Fachgebieten klinische Medizin, Infektiologie, Hygiene und Mikrobiologie sowie Krankenhaushygiene und verfügen über umfangreiche, auch praktische Erfahrungen in diesen Bereichen. Zusätzlich wird zur weiteren Erhöhung der Expertise dafür gesorgt, dass Vertreter des Bundesministeriums für Gesundheit, der obersten Landesgesundheitsbehörden und des RKI mit beratenden Stimmen an den Sitzungen des Gremiums teilnehmen. Die von diesen Experten formulierten Regeln werden erst nach Anhörung der Länder, der betroffenen Körperschaften und Verbände veröffentlicht und können sich deshalb ini Endergebnis auf einen breiten fachlichen Konsens berufen. Schließlich wird die KRINKO nicht nur verpflichtet, ihre Empfehlungen auf der Grundlage aktueller infektionsepidemiologischer Auswertungen zu fassen, sondern diese sind zudem stetig weiterzuentwickeln. Insoweit sind sie in ihrer Rechtsqualität mit den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses der Krankenkassen und Ärzte vergleichbar, die ebenso den Stand der medizinischen Wissenschaft auf den dortigen Fachgebieten widergeben.

Nach § 92 Abs. l Nr. l bis 5 SGB V schreiben diese Richtlinien genauso ärztliche Maßnahmen vor, die in diesem Fall für die teilnehmenden Leistungserbringer, für die gesetzlichen Krankenkassen und deren Versicherte verbindlich sind. Rechtlich bedeutungslos ist die Wortwahl des § 23 IfSG, der die Beschlüsse der KRINKO als Empfehlungen bezeichnet. Diese Wortwahl ist unerheblich, weil einzig und allein die rechtliche und inhaltliche Qualität der Entscheidungen maßgebend sind, die verbindlich den Stand der medizinischen Wissenschaft definieren und den Behandler verpflichten, zum Wohl des ihm anvertrauten Patienten die festgelegten Maßnahmen zu ergreifen.

II. Die Anspruchsgrundlage für den Schadensersatzanspruch wegen eines Behandlungsfehlers

Die zentrale Grundlage für den Anspruch auf Gewährung von Schadensersatz und Schmerzensgeld ist § 280 Abs. l BGB. In der Regel wird der Patient nämlich mit dem Leiter der Medizinischen Einrichtung oder dem Arzt gem. § 630a BGB einen Vertrag abschließen, durch den ihm eine medizinische Maßnahme zugesagt wird, die gem. § 630a Abs. 2 BGB nach den zum Zeitpunkt der Anwendung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen hat. So geben z.B. die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses den geschuldeten Facharztstandard wieder. Sie werden regelmäßig aktualisiert und dienen, wie es in der Präambel heißt, „der Sicherung einer nach den Regeln der ärztlichen Kunst und unter Berücksichtigung des allgemeinen Standards der medizinischen Erkenntnisse ausreichenden, zweckmäßigen ärztlichen Betreuung.“ Sie dürfen daher nicht unterschritten werden, müssen ohne Anlass aber auch nicht überschritten werden.

Hält der Behandler schuldhaft eine solche Standardvorgabe nicht ein, begeht er damit einen Behandlungsfehler und hat Schadensersatz und Schmerzensgeld zu leisten, wenn es hierdurch zu einer Gesundheitsbeeinträchtigung kommt oder gar der Tod emtritt. Entsprechendes gut, wenn die KRINKO-Empfehlungen missachtet werden. § 23 Abs. 3 S. l IfSG verpflichtet nämlich unmittelbar die Leiter der entsprechenden medizinischen Einrichtungen zu den entsprechenden Vermeidungsmaßnahmen, die nicht nur die Allgemeinheit, sondern vor allem auch den einzelnen Patienten vor Infektionskrankheiten schützen sollen.

Das OLG Hamm vertritt in seinen Urteilen vom 20.3.2012 und 5.4.2012 eine gegenteilige Auffassung. Es meint, der Gesetzgeber habe mit der Einführung des IfSG ausschließlich Regelungen zum Schutz übergeordneter allgemeiner Interessen schaffen wollen. Sie dienten also nicht dem persönlichen Schutz des Patienten. Dies lasse sich insbesondere dem § l IfSG entnehmen, der die Zweckrichtung des Gesetzes eindeutig vorgebe, nämlich die allgemeine Verhinderung von übertragbaren Krankheiten und Infektionen beim Menschen sowie die dazu erforderliche Zusammenarbeit von Behörden, Krankenhäusern und Ärzten.

Diese wenig sorgfältige, pauschalierende Rechtsprechung, die sich nur mit dem § l IfSG befasst, ist jedoch nach der vorliegenden Analyse nicht haltbar. Sie übersieht die doppelte Zweckbestimmung des Gesetzes, die darauf gerichtet ist, sowohl die Allgemeinheit als auch den einzelnen Patienten zu schützen.

Diesen besonderen Schutzzweck bestätigt u.a. § 23 Abs. 3 S. 2 IfSG. Hier wird einerseits zugunsten der medizinischen Einrichtung vermutet, bei ihren medizinischen Maßnahmen den Stand der medizinischen Wissenschaft auf dem Gebiet der Hygiene eingehalten zu haben, wenn die veröffentlichten Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim RKI eingehalten worden sind. Dies bedeutet aber andererseits: Werden diese Vorgaben nicht eingehalten, wird zugunsten des betroffenen Patienten vermutet, dass die medizinische Maßnahme nicht dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprochen hat. Auf diesen Zusammenhang weist die Gesetzesbegründung ausdrücklich hin:

„Es ist ein wesentliches Ziel des Gesetzes, die Einhaltung der Empfehlungen der KRINKO … in den in § 23 Abs. 3 IfSG genannten Einrichtungen zu verbessern bzw. zu stärken. Erleidet eine Patientin oder ein Patient in einer Einrichtung eine nosokomiale Infektion, so muss sie oder er in einem Schadensersatzprozess wie schon nach geltendem Recht darlegen und beweisen, dass die Einrichtung bei der Einhaltung der maßgeblichen Hygienevorschriften gegen den Stand der medizinischen Wissenschaft verstoßen hat und dieser Verstoß kausal zu ihrer oder seiner Infektion gefiihrt hat. Gelingt ihr oder ihm dies, kann sich die Einrichtung gem. § 23 Abs. 3 S. 2 IfSG entlasten, indem sie darlegt, dass sie die Empfehlungen der KRINKO eingehalten hat (sich also so verhalten hat, wie es der Gesetzentwurf gerade bezweckt).“

III. Zur Rechtsprechung des BGH

Der BGH hat sich in zwei jüngeren Entscheidungen mit Ersatzansprüchen von Patienten befasst, die sich in einem Krankenhaus infiziert haben. Den Krankenhäusern wurden jeweils Verstöße gegen Hygienestandards vorgeworfen. Im Zentrum beider Entscheidungen steht die Frage, ob dem Patienten Erleichterungen im Zusammenhang mit der Darlegung von Hygienefehlern zugutekommen.

1. BGH VersR 2016.1380

Der Kl., ein Kfz-Meister, litt unter Beschwerden im rechten Ellenbogen. Er wurde daraufhin im Krankenhaus operiert. Es kam zu einer Infektion im Bereich des operierten Ellenbogens mit dauerhaften schmerzhaftenBewegungseinschränkungen. Der Patient trägt vor, postoperativ sei er in einem Zimmer neben einem Patienten untergebracht worden, der unter einer offenen, eiternden und mit einem Keim infizierten Wunde im Kniebereich gelitten habe.

2. BGH VersR 2019, 553

Der Kl. wurde in einem Krankenhaus die Gebärmutter entfernt. Wegen hierbei auftretenden heftigen Blutungen und Schmerzen musste eine Revisionsoperation durchgeführt werden. In der Folge war das Operationsgebiet mit dem Darmbakterium Enterococcus faecalis infiziert. Die Geschädigte trägt vor, es habe sich Schimmel in der Dusche befunden. Außerdem habe die Bettnachbarin die Wände mit Kot beschmiert.

3. Die übereinstimmenden Feststellungen des BGH

Der BGH bestätigt erneut: Im Arzthaftungsprozess sind nur maßvolle Anforderungen an die Substantiierungspflichten des Patienten zu stellen. Vom Patienten kann keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet werden. Ihm ist das Behandlungsgeschehen weitgehend nicht bekannt und ihm fehlt das nötige Fachwissen zur Erfassung und DarsteUung des Konfliktstoffs. Es ist es ihm daher gestattet, von seinem Körperschaden auf ein fehlerhaftes Verhalten der Behandlungsseite zu schließen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Patient eine nosokomiale Infektion erleidet.

Der Vertrag der Kl. ist in beiden entschiedenen Fällen ausreichend, um die sekundäre Darlegungslast der Behandlungsseite auszulösen. Die Anforderungen an diese Verpflichtung richten sich ausschließlich nach dem Inhalt des Vorwurfs des Patienten.

Mit der eingeschränkten Darlegungslast des Patienten geht darüber hinaus zudem eine gesteigerte Verpflichtung des Gerichts zur Sachverhaltsaufklärung bis hin zur Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen einher. Dies bedeutet, dass die medizinische Einrichtung im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast in Infektionsfällen regelmäßig auch die entsprechenden Hygieneunterlagen herausgeben muss.

Der BGH bekräftigt: Das Verhalten der medizinischen Einrichtung ist nur dann nicht zu beanstanden, wenn es die betreffenden Empfehlungen der KRINKO eingehalten hat (§23 Abs. 3 S. 2 IfSG).

Bezogen auf BGH VersR 2016, 1380 bedeutet dies, das Krankenhaus muss konkret darlegen, dass es die Vorschriften zur hygienischen Händedesinfektion und zum Verbandswechsel unter keimarmen Bedingungen eingehalten hat. Es muss den Hygieneplan, die internen Vorschriften zu Händedesinfektion sowie die Vorschriften zum Verbandswechsel und jeweüs Nachweise über deren Umsetzung vorlegen.

Bezogen auf BGH VersR 2019, 55319 bedeutet dies, das Krankenhaus muss darlegen, welche Maßnahmen es ergriffen hat, um die Hygiene imd den Infektionsschutz im Krankenzimmer der Patientin sicherzusteUen, durch Vorlage des Hygieneplanes sowie der Desüifektions- und Reinigungspläne.

Der krankenhaushygienische Gutachter wird dann jeweils überprüfen, ob die KRINKO-Empfehlungen insoweit eingehalten wiirden.

Hinsichtlich der Kausalität hat der BGH festgestellt, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Hygienefehler als grob zu qualifizieren ist, mit der Folge der Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität.

IV. Die Konsequenzen aus der Rechtsprechung des BGH

Der Patient muss den Hygienefehler der Einrichtung nicht konkretisieren. Es genügt, wenn er einen Hygienemangel beschreibt, der ihm aufgefallen ist. Die Gegenseite mass dann detailliert darlegen, dass sie die KRINKO-Empfehlungen insoweit eingehalten hat. Sie muss – anknüpfend an den konkreten Vorwurf des Patienten – die diesbezüglichen Unterlagen vorlegen. Ein krankenhaushygienischer Gutachter wird dann überprüfen, ob die KRINKO-Empfehlungen insoweit eingehalten wurden. Kommt der Gutachter anschließend auf der Grundlage der vorgelegten Unterlagen zu dem Ergebnis, dass die einschlägige KRINKO-Empfehlung eingehalten worden ist, liegt keine Standardverletzung vor. Gemäß § 23 Abs. 3 S. 2 IfSG wird zugunsten der medizinischen Einrichtung vermutet, bei ihren medizinischen Maßnahmen den Stand der medizinischen Wissenschaft auf dem Gebiet der Hygiene und Infektionsprävention eingehalten zu haben. Damit hat der Patient einen Behandlungsfehler nicht bewiesen.

Diese Vermutung gut auch, wenn die Empfehlungen der Kommission Antiinfektiva, Resistenz und Therapie (ART) eingehalten wurden. Diese Empfehlungen, die insbesondere den fachgerechten Gebrauch von Antibiotika zum Gegenstand haben, sind jedoch nicht Thema dieses Aufsatzes.

Die Möglichkeit, in die Unterlagen aus dem Hygienebereich Einsicht zu nehmen, gibt es in der Regel erst im Prozess. Vorprozessual hat der Patient keinen Anspmch auf Herausgabe solcher Unterlagen. Dies ergibt sich aus § 630g Abs. 1 S. 1 BGB. Danach hat er nur einen Anspruch auf Einsicht in die vollständige, ihn betreffende Patientenakte. Die Hygieneunterlagen sind hingegen nicht BestandteU seiner ihm zugeordneten Unterlagen. Sie beinhalten u.a. die fortlaufende Niederschrift über das Auftreten von nosokomialen Infektionen, den Hygieneplan sowie die Nachweise seiner Umsetzung, die Protokolle der Hygienekommission, den Stellenbesetzungsplanung der Abteilung und die Übersicht der dort eingesetzten hygienebeauftragten Ärzte und Hygienefachkräfte. Dabei handelt es sich nicht Einzelfall bezogen um patientenspezifische Informationen.

Anders verhält es sich vor Gericht. Das Gericht hat bei einer eingeschränkten Darlegungslast des Patienten den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären und ein Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben. Dies beinhaltet die Anforderung von Hygieneunterlagen.

Der Patient kann die Vorteile, die sich aus der Rechtsprechung des BGH ergeben, also erst im Klageweg nutzen. Erst dort ist das betroffene Krankenhaus zur Herausgabe der Hygieneunterlagen verpflichtet. Hinzu kommt: Der bloße, oft auch diffuse, Eindruck eines Hygienemangels ist eine unsichere Grundlage zur Herleitung einer Standardverletzung der Einrichtung. Der Inhalt und Umfang der sekundären Darlegungslast richtet sich nach dem primären Vortrag des Patienten.

Beschränkt sich also der Vortrag des Patienten nur auf einen oder auch nur auf zwei behauptete Hygienemängel, ist der daran anknüpfende Inhalt der sekundären Darlegungslast des Krankenhauses auch begrenzt. Die Einrichtung wird nur wenige ausgewählte Unterlagen aus dem Hygienebereich vorlegen und die Einhaltung von nur wenigen Handlungspflichten aus diesem Bereich darlegen müssen. Der Ausgang des Rechtsstreits bleibt sowohl im Hinblick auf den Beweis einer Standardverletzung als auch un Hinblick auf den Beweis eines haftungsbegründenden Kausalzusammenhangs offen. Eine Beweislastumkehr ergibt sich aus dieser Rechtsprechung nicht. Damit ist der Geschädigte letztlich hilflos.

Der besondere Zweck der folgenden Abhandlung ist es, zu analysieren imd darzustellen, wie diese eher hoffnungslose Beweislage zugunsten des geschädigten Patienten verbessert werden kann, indem die Empfehlungen der KRINKO in die Entscheidungsfindung einbezogen werden.

V. Die KRINKO-Empfehlungen und die Beweislastumkehr

1. Die KRINKO-Empfehlungen und das Dokumentationsverschulden gem. § 630h Abs. 3 BGB

Zur erfolgreichen Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen bei Infektionsgeschehen in medizinischen Einrichtungen ist die Kenntnis der KRINKO-Empfehlungen, die quasi Gesetzeskraft haben, zwingende Voraussetzung, da sie den geschuldeten ärztlichen Standard verbindlich festlegen.

Nur derjenige, der diese Pflichten kennt, kann beurteilen, welche Ereignisse oder Zustände im Verlauf der Behandlung oder des Aufenthalts in der medizinischen Einrichtungen haftungsrechtlich relevant sein könnten. Nur unter dieser Voraussetzung ist es dem Patienten möglich, den konkreten Sachverhalt mit der gebotenen Sorgfalt zu analysieren und ihn dann unter Beachtung seiner Darlegungslast nicht nur darzustellen, sondern zu begründen, welche „KRINKO-Pflichten“ durch die Behandlungsmaßnahmen verletzt worden sind, die seinen Körperschaden verursacht haben. Allerdings kann eine solche Recherche nur dann lückenlos gelingen, wenn von Beginn an die Patientenakte, zu deren Herausgabe der Behandelnde gem. § 630g Abs. 1 BGB verpflichtet ist, der Prüfung zugrunde gelegt wird. Geschieht dies konsequent und gewissenhaft, ist die Gegenseite im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast gezwungen, sehr viel umfassender und sehr viel konkreter auf den Einzelfall bezogen auf den entsprechend begründeten Vorwurf zu reagieren.

Damit gerät der sonst hilflose Patient in eine stärkere Position. Vor allem erhält er die Chance, zum Nachweis der haftungsbegründenden Anspruchsvoraussetzungen des §280 BGB, gem. § 630h Abs. 3 BGB auf die Beweiserleichterung des Dokumentationsverschuldens zurückzugreifen. Hiernach wird vermutet, dass der Behandelnde eine medizinisch gebotene wesentliche Maßnahme nicht getroffen hat, wenn sie und deren Ergebnis entgegen § 630f BGB nicht in der Patientenakte aufgezeichnet worden ist.

Aus diesem Grund ist es unbedingt wichtig, zu identifizieren, welche wesentlichen ärztlichen und pflegerischen Maßnahmen gemäß der KRINKO-Empfehlungen geboten sind, und deren Umsetzung ist gem. § 630fAbs. 2 BGB in der Patientenakte zu dokumentieren.

Zweck dieser Dokumentationspflicht ist es u.a.:

”die Wahrung der Persönlichkeitsrechte des Patienten, die durch die Pflicht des Behandelnden, Rechenschaft über den Gang der Behandlung zu geben, erreicht wird. Medizinische Behandlungen finden in Bereichen statt, die sich dem Verständnis des Patienten als medizinischem Laien regelmäßig entziehen oder dem Patienten tatsächlich entzogen ist. … Schließlich spielt eine letzte Funktion der Dokumentation, die faktische Beweissicherung, für den Fall eines etwaigen Behandlungsfehlers eine maßgebliche Rolle. Unterlässt der Behandelnde die Dokumentation einer medizinisch wesentlichen Information oder Maßnahme, so greift zu seinen Lasten die besondere Beweislastregel des § 630h Abs.3 BGB.”

Dokumentationspflichtig sind damit gebotene Behandlungsmaßnahmen und deren Ergebnisse, die derzeitige und künftige Behandlung des Patienten betreffen und die wesentlich sind.

Da die KRINKO-Empfehlungen Handlungsnormen sind, sind sie wesentlich (s. oben unter I).

Damit kann sich der betroffene Patient auf die Beweislastregelung des § 630h Abs. 3 BGB berufen, wenn

  • eine wesentliche ärztliche oder pflegerische Maßnahme und ihr Ergebnis nicht dokumentiert sind,
  • die gemäß einer KRINKO-Empfehlung geboten ist und durchgeführt werden muss.

§ 630h Abs. 3 BGB statuiert eine widerlegliche Vermutung. Die Vermutung wird in der Praxis regelmäßig aber nicht widerlegbar sein. Wird z.B. in der Patientenakte dokumentiert, die OP-Wunde sei gerötet und geschwollen und sondere trübes Sekret ab, sind aber ärztliche Befunderhebungen und Reaktionen hier nicht dokumentiert, wird es schwerlich möglich sein, die Vermutung der unterlassenen Befunderhebungen zu widerlegen.

Die folgenden ausgewählten acht KRINKO-Empfehlungen verpflichten jeweils die Behandelnden zu wesentlichen ärztlichen und pflegerischen Maßnahmen, deren Durchführung damit zu dokumentieren sind:

  • Prävention postoperativer Wundinfektion,/li>
  • Prävention von Infektionen, die von Gefäßkathetern ausgehen,
  • Prävention und Kontrolle von MRSA,
  • Prävention und Kontrolle von Katheter assoziierten Harnwegsinfektionen,
  • Prävention der beatmungsassozierter Pneumonie,
  • Infektions-Prävention in Heimen,
  • Prävention nosokomialer Infektionen bei neonatologischen Intensivpflegepatienten mit einem Geburtsgewicht unter 1.500 g,/li>
  • Prävention von Gefäßkatheter assoziierten Infektionen bei Früh- und Neugeborenen.

Näheres dazu unter V.

2. Die KRINKO-Empfehlungen und der grobe Behandlungsfehler gem. § 630h Abs. 5 BGB

Der Patient muss nicht nur den Behandlungsfehler, sondern auch die Kausalität für den eingetretenen Körperschaden beweisen. Dieser Kausalitätsbeweis gelingt jedoch im „Normalfall“ nur selten. Deshalb wird der Patient in der Regel auch bei Infektionsschäden zum Nachweis des Kausalzusammenhangs auf die Beweislastumkehrregel des groben Behandlungsfehlers angewiesen sein (§ 630h Abs. 5 BGB).

Ein grober Behandlungsfehler liegt vor, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstößt und dadurch einen Fehler begeht, der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.

Entsprechendes gilt, wenn ein Krankenpfleger gegen bewährte pflegerische Behandlungsregeln oder gesicherte pflegerische Erkenntnisse verstößt und dadurch einen Fehler begeht, der aus objektiver pflegerischer Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher FeUer einem Pfleger schlechterdings nicht unterlaufen darf.

Die KRINKO-Empfehlungen werden von der Kommission in vier Evidenzkategorien unterteilt (I bis IV). Die Abstufung der Kategorien erfolgt nach Verbindlichkeit und Nachdrücklichkeit der Empfehlung (Empfehlungsgrad), wobei das Niveau der wissenschaftlichen Evidenz zur entsprechenden Eingruppierung führt. Je höher die wissenschaftliche Beweiskraft der vorhandenen Studien ist, desto nachdrücklicher wird die Umsetzung der Maßnahme gefordert, da es sich um den derzeitigen Stand wissenschaftlicher Kenntnis und Erfahrung handelt. Die Empfehlungen klassifiziert die KRINKO entsprechend ihren Festlegungen aus dem Jahr 2010 wie folgt:

  • Kategorie IA: Diese Empfehlung basiert auf gut konzipierten systematischen Review oder einzelnen hochwertigen randomisierten kontrollierten Studien.
  • Kategorie IB: Diese Empfehlung basiert auf klinischen oder hochwertigen epidemiologischen Studien und strengen, plausiblen und nachvollziehbaren theoretischen Ableitungen.
  • Kategorie II: Diese Empfehlung basiert auf hinweisenden Studien/Untersuchungen und strengen, plausiblen und nachvollziehbaren theoretischen Ableitungen.
  • Kategorie III: Maßnahmen, über deren Wirksamkeit nur unzureichende oder widersprüchliche Hinweise vorliegen, deshalb ist eine Empfehlung nicht möglich.
  • Kategorie IV: Anforderungen, Maßnahmen und Verfahrensweisen, die durch allgemein geltende Rechtsvorschriften beachten sind.

Die Kenntnis dieser Kategonsierungen ist unverzichtbar für die Prüfung der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Missichtung der Pflicht einer KRINKO-Empfehlung grob fehlerhaft ist.

Wird mindestens gegen Pflichten aus KRINKO-Empfehlungen verstoßen, die den Kategorien IA oder IB zugeordnet sind, liegt regelmäßig ein grober Behandlungsfehler vor. Auch bei einem Verstoß gegen die ärztlichen Handlungspflichten der Kategorien II bis IV kann ein grober Behandlungsfehler vorliegen. Im Zentrum der vorliegenden Untersuchung steht jedoch die DarStellung der Pflichten der Kategorien IA und IB.

Bei der Einstufung eines solchen Fehlverhaltens als grob handelt es sich um eine juristische Wertung, die dem Tatrichter und nicht dem Sachverständigen obliegt. Dabei muss diese wertende Entscheidung des Tatrichters jedoch in vollem Umfang durch die vom ärztlichen Sachverständigen mitgeteilten Fakten getragen werden und sich auf die medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens durch den Sachverständigen stützen können.

Die Handlungsgebote der Kategorie IA und IB sind eindeutig auf Handlungspflichten gerichtet, denen ein hohes Niveau an wissenschaftlicher Evidenz zugrunde liegt. Sie basieren auf Reviews und hochwertigen randomisierten und klinischen Studien. Damit handelt es sich um Regeln, die auf medizinisch gesicherten Erkenntnissen beruhen, so dass ihre Nichtbeachtung aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.

Entsprechendes gilt, wenn gegen Handlungspflichten aus KRINKO-Empfehlungen verstoßen wird, denen eindeutig „die bewährte klinische Praxis“ zugrunde liegt. Auch dann wird definitionsgemäß eine grobe Pflichtverletzung vorliegen.

VI. Fallbeispiele der Anwendung von KRINKO-Empfehlungen

Die nachfolgenden Fallbeispiele beziehen sich auf KRINKO-Empfehlungen, die auf der Homepage des RKI abrufbar sind. Sie sind entweder den Kategorien IA oder IB zugeordnet, oder entsprechen hiernach der bewährten klinischen Praxis. In diesen Situationen löst die fehlende Dokumentation vorgeschriebener Maßnahmen bezogen auf den Behandlungsfehler die Umkehr der Beweislast aus (§ 630h Abs. 3 BGB). Zudem liegt jeweils ein grober Behandlungsfehler vor (§ 630h Abs. 5 BGB).

1. Prävention postoperativer Wundinfektionen

Nachfolgend werden anhand der KRINKO-Empfehlung „Prävention postoperativer Wundinfektionen“ wesentliche Untersuchungs- und Behandlungspflichten dargestellt, welche mit der Kategorie IA und IB klassifiziert sind, und damit haftungsrechtlich relevant sind.

Diese Empfehlung enthält zehn dokumentationspflichtige Behandlungspflichten der Kategorie IA und IB. Nachfolgend werden drei von ihnen thematisiert.

Die vorliegende KRINKO-EmpfeUung betrifft u.a. folgende Fallgruppen:

  • Patienten, bei denen offene Operationen durchgeführt werden (Z.B. Bauch, Herz, Kopfoperationen, größere Organsysteme);
  • Patienten, bei denen Prothesen eingesetzt werden;
  • Patienten, bei denen minimal invasive Operationen erfolgen, bei denen es gehäuft zum intraoperativen Wechsel auf offene Operationen kommt (z.B. Gallen-OP oder Darm-OP).

Beispiel: „Präoperativ bestehende Infektionen beim Patienten sind zu erkennen und zu behandeln.“ Kategorie IB

Fall gemäß Patientenakte: der Patient hat präoperativ Fieber. Er wird dennoch offen operiert. Es kommt in der Folge zu einer Sepsis. Die präoperativ geboten Erhebung der Laborwerte sowie die Behandlung der Infektion sind nicht dokumentiert.

Rechtsfolge: Anwendung des § 630h, Abs. 3 und 5 BGB

Beispiel: „Mehrfachdosierungen von Antibiotika-Prophylaxen während der Operation sind ausschließlich bei sehr langen dauernden Operationen vorzunehmen.“ Kategorie IA

Fall gemäß Patientenakte: Die Operation dauert aufgrund von Komplikationen über 6 Stunden. Es wird nur einmal vor Beginn der Operation ein Antibiotikum verabreicht. Postoperativ kommt es zu einer schweren Wundinfektion. Die gebotene zweite Gabe einer Antibiotika-Prophylaxe ist nicht dokumentiert.

Rechtsfolge: Anwendung des § 630h Abs. 3 und 5 BGB.

Beispiel: „Wenn sich klinische Verdachtsmomente einer SSI ergeben, sind diese zeitnah und mit Dringlichkeit auszuräumen bzw. zu verifizieren.“ Kategorie IB

Fall gemäß Patientenakte: Die OP Wunde des Patienten, bei dem ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt wurde, weist Infektionsanzeichen (z.B. Rötung, Schwellung, Schmerzen, Wärme; SSI) auf. In der Folge wird ein Austausch des Gelenks erforderlich. Eine Reaktion auf diese Infektionsanzeichen ist nicht dokumentiert.

Rechtsfolge: Anwendung des § 630h Abs. 3 und 5 BGB.33

2. Prävention von Infektionen, die von Gefäßkathetern ausgehen

Diese Empfehlung betrifft insbesondere Patienten auf der Intensivstation, bei denen ein zentraler Venenkatheter (ZVK) gelegt werden muss. Es handelt sich hierbei um Regeln zur Vermeidung einer Infektion und Sepsis. Diese KRINKO-Empfehlung unterteilt sich in nicht getunnelte zentralvenöse Katheter und in periphervenöse Verweilkanülen sowie arterielle Katheter. Insgesamt enthält sie zwölf dokumentationspflichtige Behandlungspflichten der Kategorie IA, IB und solche, die sich aus der bewährten klinischen Praxis ergeben. Nachfolgend werden vier von ihnen thematisiert.

Beispiel: „Bei Patienten mit Tracheostoma sollte – wenn möglich – die Anlage eines ZVK in der Vena jugularis vermieden werden.“ Kategorie IB

Fall gemäß Patientenakte: Bei dem Patienten mit einer Pneumonie und einem Tracheostoma wird der ZVK an der benachbarten Vena jugularis angelegt. Das Lungensekret verbreitet sich vom Tracheostoma über den Hals und gelangt an die ZVK-Einstichstelle der Vena jugularis, Es kommt zu einer Sepsis. Gründe, warum die Anlage des ZVK an entfernteren Venen wie z.V. an der V. Subclavia oder an der V. Basilica nicht möglich war, sind nicht dokumentiert.

Rechtsfolge: Anwendung des § 630h Abs. 5 BGB.

Beispiel: „Bei einem Wechsel von Gaze- oder transparenten Folienverbänden ist die Haut und die Kathetereintrittsstelle gegebenenfalls mit sterile Kochsalzlösung zu reinigen und mit einem Hautantiseptikum unter Einhaltung der Einwirkzeit zu behandeln.“ Kategorie IB

Fall gemäß Patientenakte: Bei einem Patienten zeigt sich die Eintrittsstelle des Katheters als schmerzhaft. Das Pflegepersonal führt unter Entfernung des Verbands eine Sichtkontrolle der Einstichstelle durch, um Entzündungszeichen auszuschließen. Es kommt zu einer Infektion an dieser Stelle. Weder ist eine Reinigung der Kathetereintrittsstelle noch eine Behandlung derselben mit einem Hautantiseptikum dokumentiert.

Rechtsfolge: Anwendung des § 630h Abs. 3 und 5 BGB.

Beispiel: „Jeder durchfeuchtete, verschmutzte oder nicht mehr sicher haltende Verband soll sofort erneuert werden. Das gleiche gilt, wenn sich unter dem Verband eine Feuchte, (z.B. Exsudat oder Schweiß) ausbildet oder sich Blutreste ablagern.“ Bewährte klinische Praxis

Fall gemäß Patientenakte: Bei einem Patienten haftet der Verband am ZVK nicht mehr sicher. Das Pflegepersonal wurde wiederholt darauf aufmerksam gemacht. Erst nach mehreren Tagen wurde der Verband am ZVK erneuert. Bei den Patienten hat sich eine schwere Infektion an der ZVK Eintrittstelle gebildet.

Rechtsfolge: Anwendung des § 630h Abs. 3 und 5 BGB

Beispiel: „Bei Verdacht auf eine CRBSI sollte das gesamte Infusionssystem gewechselt werden.“ Bewährte klinische Praxis

Fall gemäß Patientenakte: Verdacht auf CRBSI: Bei dem Patienten lagen bereits typische klinische Symptome vor, wie Fieber und Rötung der Einstichstelle, die für eine Katheter assoziierte Infektion sprachen, vor. Das Infusionssystem wurde aber erst nach fünf Tagen ausgewechselt. Der Patient erlitt eine schwere Infektion.

Rechtsfolge: Anwendung des § 630h Abs. 3 und 5 BGB

Prävention und Kontrolle von Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus-Stämmen (MRSA) in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen

Diese KRINKO-Empfehlungen betrifft Patienten, die ein hohes Risiko aufweisen, Träger von MRSA-Keimen zu sein.

Dabei handelt es sich um folgende Personengruppen:

  • Patienten mit bekannter MRSA-Anamnese,
  • Patienten aus Regionen/Einrichtungen mit bekannt hoher MRSA-Prävalenz, beispielsweise Pflegeheime,
  • DIalysepatienten,
  • Patienten mit einem stationären Krankenhausaufenthalt (>3 Tage) in den zurückliegenden 12 Monaten,
  • Patienten, die regelmäßig (beruflich) direkten Kontakt zu MRSA haben, wie z.B. Personen mit Kontakt zu landwirtschaftlichen Nutztieren,
  • Patienten, die während eines stationären Aufenthaltes Kontakt zu MRSA-Trägern hatten (z.B. bei Unterbringung im gleichen Zimmer),
  • Patienten mit chronischen Hautläsionen (z.B. Dekubitus, chronische Wunden),

Die KRINKO-Emofehlung enthält zwei dokumentationspflichtige Behandlungspflichten der Kategorie IB. Nachfolgend wird eine der Pflichten behandelt.

Beispiel: Bei Patienten, bei denen Risikofaktoren für eine MRSA–Kolonisation bestehen, sind die Screening-Untersuchung gegebenenfalls vor Hospitalisierrung durchzuführen; zum einen MRSA-Screening gehört es, mindestens einen Abstrich beider Nasenvohöfe zu untersuchen und bei dem Vorhandensein von Wunden zusätzlich einen Wundabstrich zu untersuchen; hierbei erhöht die Untersuchung weitere Abstrich–Orte, wie zum Beispiel des Rachens, die Sensitivität.“ Kategorie IB

Fall gemäß Patientenakte: Ein Risikopatient, z.B. ein Patient, der in den letzten 12 Monaten bereits eine Woche im Krankenhaus war, oder ein Heimbewohner mit einem Dekubitusschaden, wird bei stationärer Aufnahme nich gescreent. Er wird operiert. Es wird ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt. Es kommt zu einer Besiedelung der Operationswunde mit MRSA-Keimen. Ein präoperatives Screening ist nicht dokumentiert.

Rechtsfolge: Anwendung des § 630h Abs. 3 und 5 BGB.

4. Prävention und Kontrolle Katheter-assoziierter Harnwegsinfektionen

Diese Empfehlung betrifft Patienten im Krankenhaus, bei denen ein Blasenkatheter gelegt wird. Hamwegsinfektionen gehören in Krankenhäusern mit einem Anteil von 23,2 % neben den postoperativen Wundinfektionen (24,3 %), und den unteren Atemwegsinfektionen (21,7 %) zu den häufigsten nosokomialen Infektionen. Deren Vermeidung hat damit oberste Priorität.45 Diese Empfehlung enthält zwei dokumentationspflichtige Behandlungspflichten der Kategorie IB. Nachfolgend wird eine thematisiert.

Beispiel: „Die Liegedauer eines Blasenverweilkatheters ist stets auf ein erforderliches Minimum zu beschränken, deshalb ist das Weiterbestehen einer Indikation für eine Katheterdrainage täglich ärztlich zu überprüfen und zu dokumentieren“, Kategorie IB.

Fall gemäß Patientenakte: Obwohl die Indikation für einen Blasenkatheter bereits seit mindestens zwei Tagen weggefallen ist, beispielsweise wenn der Patient nicht mehr bettlägerig ist, wird bei diesem Patienten der Blasenkatheter nicht entfernt. Der Patient erleidet eine schwere Blasenentzündung. Die Überprüfung einer Indikation für den Fortbestand des Blasenkatheters ist nicht dokumentiert.

Rechtsfolge: Anwendung des § 630h Abs. 3 und 5 BGB.

5. Prävention der nosokomialen beatmungsassoziierten Pneumonie

Diese Empfehlung betrifft Patienten, die bereits mindestens 48 Stunden beatmet werden mussten, da eine Lungenentzündung erst dann als beatmungsassoziiert gilt. Diese KRINKO-Empfehlung enthält vier dokumentationspflichtige Behandlungspflichten der Kategorie IA und IB. Eine von ihnen wird thematisiert.

Beispiel: Für Patienten mit einer zu erwartenden Beatmungsdauer von mehr als 72 Stunden sind Endotrachealtuben zur subglottischen Sekretdrainage zur Verhinderung einer Pneumonie zu verwenden“, Kategorie IA.

Fall gemäß Patientenakte: Ein Patient muss über 72 Stunden (3 Tage) beatmet werden. Dies ist regelmäßig der Fall bei einem Lungenversagen oder einer notwendig gewordenen Re-Intubation. Die Verwendung einer Endotrachealtube mit einer integrierten Drainage zur subglottischen Absaugung ist nicht dokumentiert. Der Patient erleidet eine schwere Lungenentzündung.

Rechtsfolge: Anwendung des § 630h Abs. 3 und 5 BGB.

6. Infektionsprävention in Heimen

Diese Empfehlung gilt primär für solche Einrichtungen, in denen medizinische und damit assoziierte pflegerische Maßnahmen außerhalb von Krankenhäusern durchgeführt werden, insbesondere also in Pflegeheimen. Diese KRINKO-Empfehlung enthält fünf dokumentationspflichtige Behandlungspflichten der Kategorien IA und IB. Zwei von ihnen werden nachfolgend behandelt.

Beispiel: „Blasenkatheter dürfen nur nach strenger ärztlicher Indikationsstellung unter aseptischen Bedingungen angewandt werden und sind so bald wie möglich zu entfernen“, Kategorie IB

Fall gemäß Patientenakte: Ein Heimbewohner wird über Wochen katheterisiert. Es kommt zu einer schweren Blasenentzündung. Die Indikation für die wochenlangen Anlage des Blasenkatheters ist nicht dokumentiert.

Rechtsfolge: Anwendung des § 630h Abs. 3 und 5 BGB.

Beispiel: „Eine tägliche Inspektion der Einstichstelle [des suprapubischen Katheters] ist erforderlich, um eine Infektion an der Eintrittsstelle rechtzeitig zu erkennen. In der Regel kann die Punktionsstelle bei lange liegendem suprapubischen Katheter offengelassen werden oder bedarf lediglich der Bedeckung durch ein kleines Pflaster“, Kategorie IB

Fall gemäß Patientenakte: Ein Heimbewohner mit einem suprapubischen Katheter zeigt an der Eintrittsstelle eine Rötung. Es kommt zu einer Infektion der Einstichstelle und zu einer schweren Blasenentzündung. Eine tägliche Inspektion der Eintrittsstelle ist nicht dokumentiert.

Rechtsfolge: Anwendung des § 630h Abs. 3 und 5 BGB.

7. Prävention nosokomialer Infektionen bei neonatologischen Intensivpflegepatienten mit einem Geburtsgewicht unter 1500 g

Betroffen sind neugeborene Babys. Ein Neugeborenes wird als solches bis zum 29. Lebenstag bezeichnet. Neugeborene mit einem Gewicht unter 1.500 g gelten als sehr untergewichtig und damit gefährdet. Diese KRINKO-Empfehlung enthält acht dokumentationspflichtige Behandlungspflichten der Kategorien IB. Eine von ihnen wird nachfolgend thematisiert.

Beispiel: „Von der oralen Verabreichung von Antibiotika zur NEC-Prävention soll wegen des erhöhten Risikos unerwünschter Wirkungen und der Selektion resistenter Erreger abgesehen werden, solange nicht ein Ausbruch durch einen bakteriellen Erreger mit gastrointestinalem Reservoir und geeignetem Antibiogramm vorliegt“, Kategorie IB.

Fall gemäß Patientenakte: Einem Baby ohne Ausbruchssymptome einer NEC wird eine prophylaktische Antibiose verabreicht. Die Vornähme einer vorherigen mikrobiologischen Untersuchung ist nicht dokumentiert. In der Folge kommt es zu einer Schädigung der Darmflora mit dauerhaften Einschränkungen.

Rechtsfolge: Anwendung des § 630h Abs. 3 und 5 BGB.

8. Prävention von Gefäßkatheter assoziierten Infektionen bei Früh- und Neugeborenen

Neonatologische Intensivpatienten sind eine stationär behandelte Patientengruppe mit ganz eigenem Risikoprofil. Die hier neben der periphervenösen Verweilkanüle (PVK) zum Einsatz kommenden Gefäßkatheter werden ausschließlich bei Früh- und Neugeborenen angewendet. Diese KRINKO-Empfehlung enthält vier dokumentationspflichtige Behandlungspflichten der Kategorien IB sowie zwei zu dokumentierende Pflichten, die der bewährten klinischen Praxis entsprechen. Zwei Behandlungspflichten werden nachfolgend thematisiert.

Beispiel: „Bei intensivmedizinisch behandelten Früh- und Neugeborenen mit Verdacht auf eine CRBSI sollte vor Beginn oder vor Umstellung der empirischen antibiotischen Therapie eine Blutkultur abgenommen werden“, Kategorie IB

Fall gemäß Patientenakte: Bei einem neonatologischen Patienten mit Fieber, Rötung und eitrigem Sekret an der Einstichstelle des Katheters wird mit einer antibiotischen Therapie begonnen. Die Abnahme einer vorherigen Blutkultur ist nicht dokumentiert. In der Folge kommt es zu einer schweren Infektion.

Rechtsfolge: Anwendung des § 630h Abs. 3 und 5 BGB.

Beispiel: Bei Verdacht auf eine CRBSI sollte das gesamte Infusionssystem gewechselt werden“, bewährte klinische Praxis.

Fall gemäß Patientenakte: Bei einem neonatologischen Patienten lagen bereits typische klinische Symptome, die für eine katheterassoziierte Infektion sprachen, vor. Das Infusionssystem wurde aber erst nach fünf Tagen ausgewechselt.

Rechtsfolge: Anwendung des § 630h Abs. 3 und 5 BGB.

9. Sonderfall: Die KRINKO-Empfehlung Handehygiene in Einrichtungen des Gesundheitswesens

Die Pflichten aus dieser Empfehlung sind als wichtigste Maßnahme der Basishygiene integraler Bestandteil aller KRINKO-Empfehlungen. Die Kommission klassifiziert sie überwiegend mit der Kategorie IB. Bei den folgenden Indikationen ist ausnahmslos eine Händedesinfektion durchzuführen: Unmittelbar vor und nach direktem Patientenkontakt, unmittelbar vor aseptischen Tätigkeiten, unmittelbar nach Kontakt mit potentiell infektiösem Material sowie nach Kontakt mit der direkten Patientenumgebung. Der Verstoß gegen die Verpflichtung des ärztlichen und pflegerischen Personals zur Desinfektion der Hände vor einem Patientenkontakt begründet einen schweren Behandlungsfehler.

Diese Maßnahmen sind jedoch nicht in der Patientenakte dokumentationspflichtig, da sie selbstverständlich sind und es sich auch nicht um eine Maßnahme direkt am Patienten handelt. Wie oben bereits ausgeführt, bestimmt § 630f Abs. 2 BGB, dass nur wesentliche Maßnahmen und deren Ergebnisse, die sich auf den Patienten beziehen, wie insbesondere die Anamnese, die Diagnosen, Untersuchungen, Befunde und Therapien, in der Patientenakte zu dokumentieren sind. Hieraus folgt: Der Vollzug der Maßnahmen zur Händehygiene wird nicht in den Behandlungsunterlagen des Patienten dokumentiert. Damit ist es schwierig, einen Verstoß dieser Pflichten zu beweisen, da § 630h Abs. 3 BGB nicht anwendbar ist. Hier kann der Geschädigte, wenn das im Einzelfall möglich ist, nur auf den Zeugenbeweis zurückgreifen.

VII. Zusammenfassung

Nach der Rechtsprechung des BGH muss der Patient, der sich im Krankenhaus oder einer sonstigen medizinischen Einrichtung eine Infektion oder Sepsis zuzieht, den von ihm vermuteten Hygienefehler nicht näher konkretisieren. Es genügt, wenn er von seinem Körperschaden auf das Vorliegen eines Fehlers des Behandlers schließt. Spiegelbildlich zur erleichterten Darlegungslast des Patienten trifft die Einrichtung eine erhöhte sekundäre Darlegungslast. Eine Beweislasterleichterung ergibt sich für den geschädigten Patienten hieraus allerdings nicht. Er muss durch das Sachverständigengutachten eines Facharztes für Krankenhaushygiene beweisen, dass er aufgrund einer Pflichtverletzung die Infektion oder Sepsis erlitten hat. Allerdings ist es ungewiss, ob der Patient auf der Grundlage seiner subjektiven, oft auch diffusen, Wahrnehmung eines vermuteten Hygienefehlers tatsächlich eine Pflichtverletzung der Einrichtung beweisen kann. Hinzukommt, dass die zur Offenlegung beitragende sekundäre Darlegungslast des Krankenhauses inhaltlich begrenzt ist, da sie sich nur auf den Vortrag des Patienten beziehen muss.

Kennt hingegen der Patient die Pflichten der Einrichtung im Bereich der Hygiene und Infektionsprävention, kann er beurteilen, welche Ereignisse und Zustände im Verlauf seiner Behandlung handlungsrechtlich relevant sind. Nur unter dieser Voraussetzung ist es ihm möglich, den konkreten Sachverhalt mit der gebotenen Sorgfalt zu analysieren und ihn dann nicht nur darzustellen sondern zu begründen, welche KRINKO-Pflichten durch die Behandlungsmaßnahmen verletzt worden sind. Sind die geschuldeten wesentlichen Behandlungsmaßnahmen in der Patientenakte nicht dokumentiert, ist von einem Behandlungsfehler auszugehen (§ 360h Abs. 3 BGB). Handelt es sich um einen Verstoß gegen Behandlungspflichten, die zu der Kategorie I gehören und die gemäß der „bewährten klinischen Praxis“ geboten sind, liegt ein grober Behandlungsfehler vor, mit der Folge einer Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität. Unter diesen Bedingungen hat der Patient gute Chancen, seome Schadenersatzansprüche durchzusetzen. Die Autoren hoffen, dass in Zukunft Urteile zugunsten der Patienten ergehen, in denen die KRINKO-Empfehlungen im Sinne dieser Abhandlung gebührend beweisrechtlich berücksichtigt werden.

***

Dieser Artikel erschien in der VersR, Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht, Ausgabe 24, 70. Jahrgang, am 15. Dezember 2019.