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Produktfehler eines implantierten Herzschrittmachers aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Produktserie mit einer konstruktionsbedingt erhöhten Fehlerrate

ProdHaftG §§ 1, 3

Es stellt einen Produktfehler eines Herzschrittmachers dar, wenn der Herzschrittmacher zu einer Produktserie gehört, die konstruktionsbedingt eine erhöhte Fehlerrate aufweist.

(223) OLG Hamm, Urteil vom 26.10.2010 (1-21 U 163/08)

Aus den Gründen:

Die Kl. hat einen Anspruch gegen die Bekl. auf Zahlung von 5363,23 Euro aus § 1 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG i. V. m. § 116 Abs. 1 SGBX.

1. Der Versicherten der Kl., S., ist ein Anspruch auf Schadensersatz gegen die Bekl. in Höhe der Behandlungskosten für den Austausch des Herzschrittmachers der Marke X., Modell „X2“, Seriennummer X3, in Höhe von 5363,23 Euro aus § 1 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG entstanden.

Dieser Anspruch richtet sich gegen die Bekl. Gem. § 1 Abs. 1 ProdHaftG trifft die Haftung den Hersteller des fehlerhaften Produkts. Die Bekl. ist zwar nicht selbst Herstellerin i. S. d. § 4 Abs. 1 ProdHaftG. Der Herzschrittmacher wird von der in den USA ansässigen Muttergesellschaft der Bekl., der X. Corpora- tion mit Sitz in Y., hergestellt. Die Bekl. steht aber gem. § 4 Abs. 2 ProdHaftG dem Hersteller gleich. Sie ist alleinige Importeurin des hier zu beurteilenden Herzschrittmachers in den Europäischen Wirtschaftsraum. Als solche haftet sie neben dem Hersteller.

Der Herzschrittmacher Marke X., Modell „X2“, Seriennummer X3 weist auch einen Produktfehler i. S. d. § 3 ProdHaftG auf.

Entgegen der Ansicht der Bekl. ist die Kl. mit ihrer erstmals in der Berufungsinstanz vorgetragenen Argumentation, der streitgegenständliche Herzschrittmacher weise einen Produktfehler auf, nicht gem. § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Denn dieser Vortrag stellt kein neues Angriffsmittel i. S. d. §§ 530, 531 ZPO dar. Der Begriff des Angriffsmittels umfasst nach § 282 Abs. 1 ZPO den Tatsachenvortrag der Parteien (Behauptungen und Bestreiten), Einwendungen und Einreden, sowie Beweismittel und Beweiseinreden (Musielak, ZPO 6. Aufl. § 530 Nr. 11). Nicht zu den Angriffsmitteln gehören hingegen Rechtsausführungen, da das Gericht das Recht ohnehin „von Amts wegen“ richtig anzuwenden hat (Zöller/GummerIHeßler, ZPO 27. Aufl. § 530 Rn. 8). Nach den vorstehenden Grundsätzen ist zwischen dem Tatsachenvortrag, der einen Fehler i. S. d. § 1 Abs. 1, 3 ProdHaftG begründen soll, und der rechtlichen Wertung, ob die Tatsachengrundlage für diese Annahme ausreichend ist, zu unterscheiden.

Es ist unbeachtlich i. S. d. § 531 ZPO, wenn die Kl. – wie im vorliegenden Fall – lediglich ihre Rechtsmeinung ändert. Die KI. hat in der Berufungsinstanz ihren tatsächlichen Vortrag, der die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Produktfehlers betrifft, nicht geändert. Sie hat sich weiterhin auf das berufen, was sie erstinstanzlich vorgetragen hat. So hat sie bereits erstinstanzlich unter Bezugnahme auf das „Sicherheitsschreiben“ der Bekl. vom 22. 7. 2005 vorgetragen, ein in dem Herzschrittmacher „verwendetes Bauteil zur hermetischen Verriegelung unterliege möglicherweise einem sukzessiven Verfall“. Außerdem hat sie die hieraus resultierenden möglichen Folgen, wie z. B. vorzeitige Batterieerschöpfung, Verlust der Stimulationsfunktion usw., erstinstanzlich vorgetragen. Die sich aus diesem Tatsachenvortrag ergebende Frage, ob eine Fehlfunktion weniger Geräte die Fehlerhaftigkeit der ganzen Serie und damit einen Produktfehler des hier zu beurteilenden Schrittmachers begründen kann, ist hingegen eine Rechtsfrage.

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