Erfolg beim Bundesgerichtshof im Brustimplantateprozess (PIP-Skandal)

Beim Bundesgerichtshof konnten wir im Brustimplantateprozess (PIP-Skandal) einen großen Erfolg erzielen. Es ist uns gelungen, das Gericht im Prozess gegen den TÜV Rheinland von unseren Argumenten zu überzeugen. Nun wird sich der EUGH mit der Sache befassen. Dieser entscheidet meist zu Gunsten der Patienten.

Siehe Beschluss vom 09. April 2015 (VII ZR 36/14)

BGH, EuGH-Vorlage vom 09. April 2015 – VII ZR 36/14

Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung der Medizinprodukterichtlinie: Unmittelbare Haftung eines deutschen TÜV wegen Zertifizierung der fehlerhaften Brust-Silikonimplantate einer französischen Firma; Reichweite von Produktprüfungspflichten i.S.d. Richtlinie für benannte Stellen; Verpflichtung der benannten Stellen zur Sichtung von Geschäftsunterlagen eines Herstellers und/oder unangemeldeten Inspektion des Produktionsbetriebes.

Leitsatz

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Auslegung von Art. 11 Abs. 1 Buchstabe a) in Verbindung mit Anhang II Nr. 3.3., 4.3., 5.3., 5.4. der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. 1993, L 169, S. 1 ff., zuletzt geändert durch die Richtlinie 2007/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007, ABl. 2007, L 247, S. 21) vorgelegt:

Ist es Zweck und Intention der Richtlinie, dass die mit dem Audit des Qualitätssicherungssystems, der Prüfung der Produktauslegung und der Überwachung beauftragte benannte Stelle bei Medizinprodukten der Klasse III zum Schutz aller potentiellen Patienten tätig wird und deshalb bei schuldhafter Pflichtverletzung den betroffenen Patienten unmittelbar und uneingeschränkt haften kann?

Ergibt sich aus den genannten Nummern des Anhangs II der Richtlinie 93/42/EWG, dass der mit dem Audit des Qualitätssicherungssystems, der Prüfung der Produktauslegung und der Überwachung beauftragten benannten Stelle bei Medizinprodukten der Klasse III eine generelle oder zumindest anlassbezogene Produktprüfungspflicht obliegt?

Ergibt sich aus den genannten Nummern des Anhangs II der Richtlinie 93/42/EWG, dass der mit dem Audit des Qualitätssicherungssystems, der Prüfung der Produktauslegung und der Überwachung beauftragten benannten Stelle bei Medizinprodukten der Klasse III eine generelle oder zumindest anlassbezogene Pflicht obliegt, Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten und/oder unangemeldete Inspektionen durchzuführen?

Gründe

I.

Die Klägerin ließ sich am 1. Dezember 2008 in Deutschland Silikonbrustimplantate einsetzen, die von einem in Frankreich ansässigen Unternehmen, das zwischenzeitlich in Insolvenz gefallen ist, hergestellt worden waren. 2010 stellte die zuständige französische Behörde fest, dass bei der Herstellung der Brustimplantate entgegen dem Qualitätsstandard minderwertiges Industriesilikon verwendet wurde. Auf ärztlichen Ratschlag ließ sich die Klägerin daraufhin 2012 ihre Implantate entfernen. Sie begehrt deshalb von der Beklagten ein Schmerzensgeld von 40.000 € und die Feststellung der Ersatzpflicht für künftig entstehende materielle Schäden.

Die Silikonbrustimplantate sind Medizinprodukte, die nach Art. 1 der Richtlinie 2003/12/EG der Kommis- sion vom 3. Februar 2003 zur Neuklassifizierung von Brustimplantaten im Rahmen der Richtlinie 93/42/EWG (ABl. 2003 L 28 S. 43 f.) als Medizinprodukte der Klasse III eingestuft werden. Medizinprodukte der Klasse III dürfen nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Medizinproduktegesetz nur in den Verkehr gebracht werden, wenn unter anderem ein Konformitätsbewertungsverfahren nach § 37 Abs. 1 MPG, § 7 Abs. 1 Nr. 1 (vormals § 6 Abs. 1 Nr. 1) Medizinprodukte-Verordnung (MPV) in Verbindung mit Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG durchgeführt worden ist.

Bestandteil dieses Konformitätsbewertungsverfahrens ist das Qualitätssicherungssystem, die Prüfung der Produktauslegung und die Überwachung (Nr. 3 bis 5 Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG). Die förmliche Überprüfung (Audit) des Qualitätssicherungssystems, die Prüfung der Produktauslegung und die Überwachung werden von einer benannten Stelle durchgeführt, die der Hersteller zu beauftragen hat.

Das in Frankreich ansässige Herstellerunternehmen beauftragte die Beklagte als benannte Stelle mit den genannten Aufgaben. Die Vertragsparteien vereinbarten die Geltung deutschen Rechts.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte ihren Pflichten als benannter Stelle nicht hinreichend nachgekommen sei. Insoweit ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Beklagte bei dem Hersteller- Unternehmen vor dem 1. Dezember 2008 jeweils angekündigte Besichtigungen im November 1998, Januar 2000, November 2000, Februar 2001, Dezember 2001, November 2003, November 2004 und März 2006 durchführte. Die Beklagte nahm keine Einsicht in die Geschäftsunterlagen und ordnete keine Produktprüfung an. Die Klägerin trägt vor, durch eine Einsicht in Lieferscheine und Rechnungen hätte die Beklagte erkennen können, dass nicht das genehmigte Silikon verarbeitet worden sei. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

II.

Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung von Art. 11 Abs. 1 Buchstabe a) in Verbindung mit Anhang II Nr. 3.3., 4.3., 5.3., 5.4. der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizin- produkte ab. Vor der Entscheidung über die Revision ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchstabe b), Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.

1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Beklagte und das Herstellerunternehmen hätten einen rein privatrechtlich zu beurteilenden Vertrag geschlossen. In diesen sei die Klägerin nicht eingebunden gewesen. Die Beklagte hafte nicht unter dem Gesichtspunkt der Pflichtverletzung eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Sinn und Zweck der Tätigkeit als benannter Stelle im Auftrag des Herstellers sei nicht der Schutz Dritter. Die Zertifizierungstätigkeit diene nur dazu, die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten zu schaffen.

Ein rechtsgeschäftlicher Wille des Herstellers und der benannten Stelle, Dritte in den Schutzbe- reich ihres Vertrages einzubeziehen, bestehe deshalb nicht. Eine solche Einbeziehung würde zudem zu einer uferlosen Ausweitung der Haftung der benannten Stelle führen. Schließlich sei nicht erkennbar, woraus sich ein berechtigtes Interesse des Herstellerunternehmens an der Einbeziehung der Klägerin in den Schutzbereich des Vertrages ergebe.

Die Beklagte hafte zudem nicht nach deutschem Deliktsrecht. Der Beklagten könne nach Sachlage allenfalls der Vorwurf gemacht werden, das Herstellerunternehmen nicht ausreichend überwacht zu haben. Für die Beklagte habe sich aber keine Pflicht zum Handeln im Interesse der Patientinnen ergeben, da die benannte Stelle nicht zum Schutz der Patienten tätig werde. Zudem sei kein Verschulden feststellbar. Der Vorwurf, die Beklagte habe Überwachungspflichten verletzt, sei unberechtigt. Die Beklagte habe regelmäßig angekündigte Besichtigungen durchgeführt. Das reiche aus, soweit kein Verdacht für eine nicht ordnungsgemäße Produktion gegeben sei.

2. Auf das Rechtsverhältnis der Parteien findet deutsches Recht Anwendung.

Das Schuldverhältnis der Parteien beurteilt sich, wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend angenommen hat, insgesamt nach deutschem materiellen Recht.

a) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich die von der Klägerin geltend ge- machten Ansprüche aus unerlaubter Handlung nach deutschem Recht beurteilen. Dies folgt aus Art. 40 EGBGB.
Die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II-VO; ABl. 2007 L 199 S. 40) ist im Streitfall intertemporal noch nicht anwendbar, da das schadensbegründende Ereignis vor dem 11. Januar 2009 eingetreten ist (vgl. Art. 31, 32 Rom II-VO).

Nach der Art. 40 Abs. 1 EGBGB vorgehenden Sonderanknüpfung des Art. 40 Abs. 2 EGBGB ist deutsches Recht als Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts von Klägerin und Beklagter zur Zeit des Haftungsereignisses anwendbar. Die Anwendbarkeit deutschen Rechts ergäbe sich im Übrigen auch aus Art. 40 Abs. 1 Satz 2 EGBGB. Eine wesentlich engere Verbindung zu einem ausländischen Recht im Sinne des Art. 41 EGBGB, die dessen Anwendbarkeit zur Folge hätte, besteht im Streitfall nicht.

b) Ebenfalls zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich vertragliche Ansprüche, die aus dem zwischen der Beklagten und dem Hersteller geschlossenen Vertrag über das Konformitätsbewertungsverfahren resultieren, kraft ausdrücklicher Rechtswahl nach deutschem Recht beurteilen. Dies folgt aus Art. 27 Abs. 1 EGBGB.

Die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 17. Juni 2008 (Rom I-VO, ABl. 2008 L 177 S. 6, ber. ABl. 2009 L 309 S. 87) ist im Streitfall intertemporal nicht anwendbar, da sie gemäß Art. 28 nur auf Verträge angewandt wird, die ab dem 17. Dezember 2009 geschlossen worden sind. Auf Verträge, die – wie der hier einschlägige Vertrag – davor geschlossen wurden, sind weiterhin die Bestimmungen der Art. 27 bis 34 EGBGB anzuwenden.

c) Da deutsches Recht sowohl auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung als auch auf vertragliche Ansprüche aus dem genannten Vertrag anwendbar ist, bedarf es im Streitfall keiner Entscheidung, ob die Einbeziehung von Dritten in den Schutzbereich eines Vertrags sich internationalprivatrechtlich nach dem Vertragsstatut beurteilt (vgl. MünchKommBGB/Spellenberg, 4. Aufl., Art. 32 EGBGB Rn. 24 m.w.N.) oder ob insoweit das Deliktsstatut (vgl. Dutta, IPRax 2009, 293, 297) maßgebend ist.

3. Für die Entscheidung des Rechtsstreits nach deutschem Recht kommt es maßgeblich darauf an, zu welchem Zweck eine benannte Stelle in das Konformitätsbewertungsverfahren einbezogen wird (a, b), und welche Pflichten der benannten Stelle im Rahmen dieses Verfahrens auferlegt sind (c).

a) Eine deliktsrechtliche Haftung der Beklagten kann sich wegen Verletzung eines Schutzgesetzes aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 2 Satz 1, § 37 Abs. 1 MPG, § 7 Abs. 1 Nr. 1 (früher § 6 Abs. 1 Nr. 1) MPV, Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG ergeben. Das setzt voraus, dass § 6 Abs. 2 Satz 1 MPG als Schutzgesetz angesehen werden kann.

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Norm als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB anzusehen, wenn sie nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen.

Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mit gewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das in Frage stehende Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge haben.

Andererseits soll der Anwendungsbereich von Schutzgesetzen nicht ausufern. Deshalb reicht es nicht aus, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als ihr Reflex objektiv erreicht werden kann; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen.

Zudem muss die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs sinnvoll und im Sinne des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen, wobei in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, geprüft werden muss, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktsrechtliche Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zu Gunsten des Geschädigten gegebenen Beweiserleichterungen zu knüpfen (BGH, Ur- teile vom 13. Dezember 2011 – XI ZR 51/10, BGHZ 192, 90 Rn. 21; vom 22. Juni 2010 – VI ZR 212/09, BGHZ 186, 58 Rn. 26).

bb) Misst man § 6 Abs. 2 Satz 1 MPG an diesen Maßstäben, ist festzustellen:
Das Medizinproduktegesetz dient der Umsetzung der Richtlinie 93/42/EWG (Spickhoff/Lücker, Medizinrecht, 2. Aufl., Vorbemerkung MPG Rn. 3; Rehmann in Rehmann/Wagner, MPG, 2. Aufl., Einführung Rn. 2).

§6 Abs. 2 Satz 1 MPG stellt in Verbindung mit §37 Abs. 1 MPG, §7 Abs. 1 Nr. 1 MPV sicher, dass Medizinprodukte der (höchsten Risiko-) Klasse III nur in den Verkehr gelangen, wenn die Voraussetzungen des Konformitätsbewertungsverfahrens nach Anhang II zur Richtlinie 93/42/EWG gegeben sind. Für die Frage, ob § 6 Abs. 2 Satz 1 MPG als Schutzgesetz anzusehen ist, kommt es deshalb nach dem Prinzip der richtlinienkonformen Auslegung (EuGH, NJW 2006, 2465 Rn. 108 ff.; BGH, Urteile vom 7. Mai 2014 – IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 20; vom 21. Dezember 2011 – VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148 Rn. 24) wesentlich auf Inhalt und Zweck der Richtlinie 93/42/EWG im Allgemeinen und speziell unter Berücksichtigung von deren Anhang II an. In Abs. 5 der Erwägungen der Richtlinie 93/42/EWG wird ausgeführt, dass Medizinprodukte für Patienten, Anwender und Dritte einen hochgradigen Schutz bieten müssen.

Die Verbesserung des in den Mitgliedsstaaten erreichten Schutzniveaus „ist eines der wesentlichen Ziele dieser Richtlinie“. Speziell für das Konformitätsbewertungsverfahren heißt es dazu in der Mitteilung der Kommis- sion an den Rat und das Europäische Parlament über Medizinprodukte vom 2. Juli 2003 (KOM[2003] 386, S. 16):

„Die Konformitätsbewertung ist eine Grundvoraussetzung für das Vertrauen in die Fähigkeit des Regulierungssystems, Patienten und Bürger zu schützen. Es müssen alle nur erdenklichen Bemühungen zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus unternommen werden. Mängel bei der Konformitätsbewertung stellen die Glaubwürdigkeit des vorhandenen Regulierungssystems und die Fähigkeit der Behörden zum wirksamen Schutz der öffentlichen Gesundheit in Frage, selbst wenn nur eine geringe Zahl spezifischer Produkte betroffen ist.“

Auf dieser Grundlage ist davon auszugehen, dass der Schutz der Patienten vor Gesundheitsbeeinträchtigungen und Körperverletzungen eines der wesentlichen Ziele der Richtlinie 93/42/EWG darstellt. Es ist deshalb möglich, dass die Richtlinie einen Rechtsschutz, wie ihn die Klägerin gegen die Beklagte in Anspruch nimmt, beabsichtigt (bejahend: Rott/Glinski, ZEuP 2015, 192, 204; Lippert in Deutsch/Lippert/Ratzel/Tag, 2. Aufl., MPG, § 6 Rn. 9).

b) Das durch die Rechtsprechung entwickelte Institut des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter beruht auf einer maßgeblich durch das Prinzip von Treu und Glauben (§ 242 BGB) geprägten ergänzenden Vertragsauslegung (§ 157 BGB). Danach wird ein Dritter in die aus einem Vertrag folgenden Sorgfalts- und Schutzpflichten einbezogen, wenn er mit der Hauptleistung nach dem Inhalt des Vertrags bestimmungsgemäß in Berührung kommen soll, ein schutzwürdiges Interesse des Gläubigers an der Einbeziehung des Dritten besteht, den Interessen des Schuldners durch Erkennbarkeit und Zumutbarkeit der Haftungserweiterung Rechnung getragen wird und der Dritte schutzbedürftig ist (BGH, Urteile vom 28. Januar 2015 – XII ZR 201/13, NZFam 2015, 254 Rn. 14; vom 9. Oktober 2014 – III ZR 68/14, NJW 2014, 3580 Rn. 24).

Für die an § 242 BGB ausgerichtete Auslegung des Vertrages ist von wesentlicher Bedeutung, welche Zwecke die Richtlinie 93/42/EWG allgemein mit dem Konformitätsbewertungsverfahren und insbesondere durch die Einbeziehung der benannten Stelle mittels eines privatrechtlichen Vertrages mit dem Hersteller verfolgt. Diese Zwecke sind Grundlage der Bewertung des Vertragsinhalts und deshalb Ausgangspunkt für eine ergänzende Vertragsauslegung.

c) Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB oder aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter setzt des Weiteren einen Verstoß gegen das Schutzgesetz oder eine Vertragspflichtverletzung voraus.

aa) Der benannten Stelle sind nach Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG folgende Pflichten zugewiesen: Vor dem Inverkehrbringen des Medizinprodukts ist die benannte Stelle zunächst in die Bewertung des von dem Hersteller einzureichenden Qualitätssicherungssystems eingebunden (Nr. 3.3. Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG). Sie hat eine förmliche Überprüfung des Qualitätssicherungssystems (Audit) durch- zuführen. Zusätzlich hat der Hersteller eine Produktauslegungsdokumentation vorzulegen, die die be- nannte Stelle nach Nr. 4.3. der Richtlinie 93/42/EWG zu prüfen hat.

Nach dem Inverkehrbringen des Medizinprodukts hat nach Nr. 5.1. Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG eine Überwachung des Qualitätssicherungssystems zu erfolgen. Die Pflichten der benannten Stelle im Rahmen der Überwachung sind in Nr. 5.3. und 5.4. Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG geregelt. Danach führt die benannte Stelle regelmäßig die erforderlichen Inspektionen und Bewertungen durch, um sich davon zu überzeugen, dass der Hersteller das genehmigte Qualitätssicherungssystem anwendet.

Darüber hinaus kann die benannte Stelle unangemeldete Besichtigungen beim Hersteller durchführen und erforderlichenfalls Prüfungen zur Kontrolle des ordnungsgemäßen Funktionierens des Qualitätssiche- rungssystems durchführen oder durchführen lassen.

bb) Der Senat kann nicht zweifelsfrei feststellen, welchen konkreten Inhalt diese Pflichten bei Medizinpro- dukten der Klasse III haben. Insbesondere stellt sich die Frage, ob sich aus den vorstehend genannten Bestimmungen des Anhangs II der Richtlinie 93/42/EWG eine generelle oder zumindest anlassbezogene Produktprüfungspflicht ergibt. Außerdem stellt sich die Frage, ob eine generelle oder zumindest anlassbezogene Pflicht besteht, Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten und/oder unangemeldete Inspektionen durchzuführen.

Dazu heißt es in der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über Medizinprodukte vom 2. Juli 2003 (KOM[2003] 386, 17):

„Will ein Hersteller die Konformitätserklärung für Produkte der Klassen IIa und IIb auf der Grundlage eines vollständigen Qualitätssicherungssystems abgeben, so müssen sich die benannten Stellen nicht nur vom Vorliegen einer vollständigen technischen Dokumentation überzeugen, …, sondern auch von der richtigen Anwendung des Qualitätssicherungssystems des Herstellers und der Richtigkeit und Angemessenheit der Angaben.“

Nach diesen Ausführungen könnten im Konformitätsbewertungsverfahren bloße Besichtigungen, wie von der Beklagten ausschließlich nach vorhergehender Anmeldung durchgeführt, nicht ausreichen, um die Anforderungen von Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG zu erfüllen. Damit könnte einhergehen, dass sich die Beklagte in Nr. 6.1 ihrer Prüf- und Zertifizierungsordnung, die Bestandteil des Vertrages mit dem Herstellerunternehmen war, die Befugnis zu Kontrollprüfungen des Produkts vorbehalten hat.

4. Da der Gerichtshof der Europäischen Union noch keine Gelegenheit hatte, zu den aufgeworfenen Fragen Stellung zu nehmen, sind ihm diese zur Auslegung der Richtlinie 93/42/EWG vorzulegen.