LANGFASSUNG – Wehensturm – ein Bericht der Süddeutschen Zeitung von Katrin Langhans mit Zitaten von RAin Ruth Schultze-Zeu

Aktuell im Fachgebiet Geburtsschadensrecht besonders bedeutsam: Berichte und Informationen zur Verwendung von Cytotec bei der Einleitung der Geburt!
Wir helfen Ihnen. Am 2. Juli 2020 haben wir als erste und einzige Kanzlei in Deutschland vor dem Landgericht Berlin ein CYTOTEC-Urteil erstritten. – 300.000 € Schmerzensgeld!

Katrin Langhans, Süddeutsche Zeitung, 12.02.2020 | Cytotec ist in Deutschland nicht zugelassen, um Geburten einzuleiten. Trotzdem wird die Pille tagtäglich genau dafür eingesetzt.

Irgendwann hörte sie Emils Herz nicht mehr. Diese Stille war schlimmer als der Schmerz, der seit Stunden durch ihren Unterleib jagte, schlimmer als die Atemnot, schlimmer als das Gefühl, ihr Bauch würde in zwei Teile gerissen. So schildert sie heute die Geburt ihres Kindes vor acht Jahren.

Die Ärztin fand die Herztöne von Emil nicht, erinnert sich Amelie Reimann. Ihre Wehen dauerten seit Stunden an, sie war erschöpft, erwartete ihr erstes Kind. Drei Minuten. Vier Minuten. Warum schlug sein Herz nicht? Fünf Minuten, sechs Minuten, sieben, es pochte. Eine Linie erschien auf dem Monitor, schlug aus, als zeichne Emils Herzschlag Badewannen.

Die Ärzte beobachteten Emils Herzschlag. Irgendwann piksten sie dem Baby in Amelie Reimanns Bauch in den Kopf, untersuchten die Blutwerte, zwei Mal, weil sie sich das Ergebnis nicht erklären konnten. Dann ging alles ganz schnell. „Befreien Sie mich von diesen Schmerzen“, schrie Amelie Reimann und es wurde dunkel. Notfallkaiserschnitt.

Der kleine Emil kam erschöpft zur Welt, sein Arm hing schlaff herunter, er schrie nicht, er stöhnte leise, zeigte keine Reflexe, atmete nicht. All das lässt sich anhand von Krankenhausakten, Gesprächen und medizinischen Gutachten rekonstruieren.

„Hätte ich gewusst, dass mein Kind um sein Leben kämpft, hätte ich das ganze Krankenhaus zusammengebrüllt“, sagt Amelie Reimann. Sie sitzt an ihrem Küchentisch und reiht Emils Herztöne aneinander, Dokumente, auf denen zackige Ausschläge zu sehen sind.

Jedes Mal, wenn Reimann auf den Verlauf der Herztöne schaut, sieht sie den Überlebenskampf ihres Sohnes. Minuten, in denen Emil zu wenig Sauerstoff bekam, Minuten, die wohl darüber entschieden haben, dass Emil heute, mit acht Jahren, noch eine Windel trägt, nicht sprechen und sich nicht allein die Jacke anziehen kann.

Amelie Reimann und Emil heißen anders, die Mutter möchte anonym bleiben, weil die Rechtsstreitigkeiten mit der Klinik noch laufen.

Erst Wochen nach der Geburt erfährt Reimann von einem befreundeten Gynäkologen, dass sie im Krankenhaus eine Tablette bekommen hat, die in Deutschland gar nicht für die Geburtshilfe zugelassen ist. Cytotec ist ein Magenschutzmittel, das für die Behandlung von Magenschleimhautschädigungen und akuten Magengeschwüren entwickelt wurde. Ärzte aber verwenden es, um Föten abzutreiben und Wehen einzuleiten, weil man zufällig entdeckt hat, dass es die Gebärmutter anregt.

Die US-amerikanische und die französische Gesundheitsbehörde warnen seit Jahren vor Cytotec, weil die Studienlage schlecht ist. Mütter starben, weil ihre Gebärmutter nach der Gabe von Cytotec gerissen war. Kinder kamen behindert zur Welt, weil sie durch die extrem starken und dichten Wehen an Sauerstoffmangel litten. Ein Wehensturm kann sich für das Kind so anfühlen, als würde man seinen Kopf immer wieder unter Wasser drücken und ihm beim Auftauchen kaum eine Chance geben einzuatmen. Heute kann Reimann in einem Gutachten nachlesen, dass Emil einen Wehensturm erlebt hat.

Cytotec, sechs Ecken, groß wie ein Smartie, verwenden Ärzte in der Geburtshilfe, um Wehen einzuleiten. Die Tablette kostet ein paar Cent, Alternativen liegen meist im dreistelligen Bereich. Es gibt Hinweise darauf, dass Geburten mit Cytotec schneller verlaufen und mit weniger Kaiserschnitten, weil es sehr effektiv ist. Aber weil die Datenlage schlecht ist, lässt sich nicht sagen, wie viele Todesfälle und Gehirnschäden das Mittel schon verursacht hat.

Amelie Reimann zieht ein Foto aus ihrem Ordner. Emil, so wie sie ihn nach der Narkose das erste Mal gesehen hat.

Ein Schlauch hängt an seinem Arm, er bekommt Medikamente. „Er war das schönste Baby weit und breit“, sagt Reimann. Seine ersten Tage verbrachte Emil in einem anderen Krankenhaus auf einer Kinderintensivstation. Als Amelie ihren Sohn zum ersten Mal halten darf, muss sie aufpassen, dass sie die Kabel nicht verrückt.

Wegen Cytotec ziehen Frauen in Frankreich und Deutschland vor Gericht; auf den Bahamas, in Dänemark und den USA warnen Mütter vor dem Mittel. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das Nebenwirkungen überwacht, weiß nur von einem einzigen Kind in Deutschland, das nach der Gabe von Cytotec verstarb, und von keinem, das mit einem Gehirnschaden zur Welt kam – das zeigt eine Auswertung der gemeldeten Komplikationen, die SZ und Bayerischer Rundfunk einsehen konnten. Der Behörde sind nicht einmal die Fälle bekannt, in denen Gerichte Familien bereits Schmerzensgeld zugesprochen haben.

SZ und BR haben Urteile, Gutachten, Warnungen und Fallberichte aus der ganzen Welt ausgewertet, unveröffentlichte Akten gesichtet und Mütter und Väter gesprochen, deren Kinder nach der Gabe von Cytotec behindert auf die Welt kamen.

Googelt man die Pille Cytotec, findet man im Netz den Beipackzettel. Bei Cytotec kann es in seltenen Fällen zu einer Uterusruptur kommen, heißt es da, außerdem zu einer Überstimulation der Gebärmutter, einer frühzeitigen Plazenta-Ablösung und zu einem Geburtsschaden. Es ist bei Schwangeren kontraindiziert. Seit 2006 ist das Mittel nicht mehr auf dem deutschen Markt, der Hersteller Pfizer stoppte den Vertrieb hierzulande „aus ethischen Gründen“, hieß es damals. Auf Anfrage schreibt Pfizer heute, es gebe keine ausreichenden, randomisierten und verblindeten Studien, die eine Anwendung zur Einleitung der Geburt rechtfertigen würden.

Wie kann es sein, dass Ärzte Cytotec trotzdem immer noch verschreiben?

Schuld ist eine Gesetzeslücke. Sie nennt sich Off-Label-Use. Innerhalb ihrer Therapiefreiheit können Ärzte Tabletten verschreiben, die nicht zugelassen sind, wenn sie Patienten darüber aufklären. Sie können dafür Präparate aus dem Ausland importieren. Das ist sinnvoll, wenn sie Patienten behandeln, denen zugelassene Medikamente nicht mehr helfen. In der Geburtshilfe gibt es aber getestete Mittel. Und oft werden Frauen nur manipulativ oder gar nicht über Alternativen aufgeklärt.

Im Schnitt nutzt jede zweite Klinik einer bisher unveröffentlichten Umfrage der Universität Lübeck zufolge in Deutschland Cytotec zur Einleitung. Klinikleiter in München, Berlin und Worms argumentieren, dass Cytotec angenehm zu schlucken sei, Alternativen werden Frauen über den Tropf eingeflößt oder in die Vagina eingeführt. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt den Wirkstoff Misoprostol, der in dem Medikament steckt, allerdings nur in geringen Dosen, die bei Amelie Reimann und anderen Frauen in Deutschland und Frankreich mitunter um das Doppelte bis Vierfache überschritten wurden. Weil es nie eine Zulassungsstudie gab, berufen sich Kliniken auf Erfahrungswerte.

„Die Hebamme hat mir die Tabletten einfach vor die Nase gehalten“, sagt Reimann. Einen Aufklärungsbogen über Risiken habe sie nie gesehen. Als sie drei Tabletten Cytotec geschluckt hatte, wurde ihr schlecht, sie übergab sich, ihr damaliger Freund hielt ihr den Eimer hin. „Ich konnte nicht mehr denken. Es fühlte sich an wie Messerstiche in den Körper.“ Reimann schaute immer wieder auf den roten Notfallknopf, aber sie traute sich nicht, nach der Hebamme zu klingeln. Sie sagt, sie wusste nicht, dass ihre Schmerzen nichts mit einer natürlichen Geburt zu tun haben.

Dosen und Zeitabstände, in denen Kliniken Cytotec verabreichen, bestimmen sie selbst. Das zeigt eine Umfrage der Hebammenwissenschaftlerin Christiane Schwarz aus Lübeck. „Jeder pusselt so vor sich hin“, sagt Schwarz. Manchmal zerteile das Klinikpersonal die Tabletten einfach mit einem Messer und gebe der Frau ein Stück, so wie bei Amelie Reimann, dabei sei unklar, wie sich der Wirkstoff in der Tablette verteile.

Unter Ärzten ist bekannt, dass nach der Gabe von Cytotec die Herztöne der Kinder abfallen können, dieses Phänomen nennen Hebammen im Gespräch mit SZ und BR die Cytotec-Wanne.

„Die Ärzte verschreiben Cytotec wie Bonbons“, sagt eine Hebamme, die anonym bleiben möchte.

„Ärzte geben Cytotec wie Zuckerl“, sagt ein Gutachter.

Und ein Münchner Klinikleiter sagt: „Wir wollen ja nicht pleitegehen.“

Dabei gibt es Untersuchungen, die zeigen, dass es bei Cytotec häufiger zu einem Wehensturm kommen kann als bei den Alternativen. „Es ist schon lange an der Zeit, diesen Unsinn mit Cytotec zu beenden“, sagt Peter Husslein, Professor für Geburtshilfe und Leiter der Universitäts-Frauenklinik Wien, der zu Wehentätigkeit und Einleitungsmethoden forscht. Cytotec verwendet er nicht. „Das Mittel ist weitgehend unkontrollierbar, und es gibt viel zu wenig Untersuchungen“, sagt Husslein. „Es hat viele mütterliche Todesfälle verursacht. Es gibt für mich keinen Grund der Welt, warum ich als Arzt ein gefährliches nicht registriertes Medikament anwenden sollte.“

Im vergangenen Jahr bezogen Apotheken Recherchen von SZ und BR zufolge mehr als eine Million Tabletten aus dem Ausland. Wie viele in der Geburtshilfe verwendet wurden, ist nicht dokumentiert.

Amelie Reimann hilft jetzt Emil aus dem Kindersitz, gerade hat sie ihn von der Integrationsschule abgeholt. Emil schreit, er will weiter Auto fahren. „Ach Hase“, sagt Amelie Reimann.

Er bleibt kurz auf dem Bürgersteig stehen, läuft zum Baum, streichelt ihn. Er will geradeaus gehen, dann links, dann rechts. Mit vier Jahren hat Emil laufen gelernt, seit Kurzem kann er rennen. Am Teich bleibt er stehen, steckt sich einen Finger in den Mund. „Ör“, sagt Emil. „Ente“, sagt Reimann.

Die Klinik, in der Emil zur Welt kam, liegt nur wenige Hundert Meter entfernt. Amelie Reimann hat vor zwei Jahren ein Vergleichsangebot mit einer sechsstelligen Summe abgelehnt und verklagt die Klinik. „Da kommt ja keiner auf dich zu und sagt, es tut mir leid“, sagt sie. In ihrer Klage kann sie sich auf ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen stützen, in dem steht, dass Emil nach der Gabe von Cytotec einen Sauerstoffmangel erlitten habe. Die Klinik will sich nicht äußern. Amelie Reimann hat alle ihre Ersparnisse in die Klage gesteckt. „Wenn das schiefgeht, bin ich auch noch pleite.“

Reimanns Medizinrechtsanwältin Ruth Schultze-Zeu hat regelmäßig mit Cytotec-Fällen zu tun, Ähnliches berichten drei weitere Medizinrechtsanwälte in Berlin und Köln. Schultze-Zeu vertritt Eltern von Kindern, die mit Gehirnschaden auf die Welt kamen. Gerade bearbeitet sie den Fall eines Mädchens, das nach der Gabe von Cytotec und einem weiteren Wehenmedikament wenige Tage nach der Geburt starb. „Es ist immer das gleiche Schema“, sagt Schultze-Zeu. „Die Frauen werden nicht aufgeklärt, wir haben einen Wehensturm, der nicht mehr beherrschbar ist, es treten Komplikationen auf, und das Kind kommt mit einem schweren Schaden zur Welt.“ Klagen dieser Art ziehen sich oft über Jahre hin, oft gibt es am Ende einen Vergleich.

In Deutschland und Frankreich gibt es erste Urteile. Ein Kind starb, drei erlitten einen Gehirnschaden, das Personal bekam die Komplikationen nach der Gabe von Cytotec nicht in den Griff, die Kliniken mussten Schadenersatz zahlen.

Das Medikament ist stark, es ist gefährlich, und seine Wirkung wurde im Feldversuch an Frauen ausprobiert. Marsden Wagner, der ehemalige Direktor des Fachbereichs für Kinder und Frauengesundheit bei der WHO, kritisierte in einem Interview, „Hunderte Frauen“ hätten einen Gebärmutterriss erlitten, es habe „viele, viele tote Kinder gegeben“, bevor man herausgefunden habe, dass man Cytotec nicht bei Frauen anwenden sollte, die zuvor einen Kaiserschnitt hatten, weil das vernarbte Gewebe empfindlich reagieren kann.

Cytotec kann aber auch gefährlich sein, wenn eine Frau ihr erstes Kind gebiert. Niklas rennt durch das Wohnzimmer, in der Hand hält er eines seiner Lieblingskuscheltiere, Destiny, den Walhai.

Niklas heißt eigentlich anders, aber weil sein Vater um Schadenersatz kämpft, will seine Familie anonym bleiben. Niklas ist vier Jahre alt und lernt gerade das Sprechen. Einige Wörter gehen schon ganz gut, „Mond“ oder „Eis“. Den abgelutschten Eisstiel hält er jetzt Nina Jahn hin, „Mama“ Nummer eins. Sie schüttelt den Kopf. „Den kannst du alleine wegbringen.“

Im Regal steht das Foto einer jungen Frau, sie hält eine Violine in ihrer Hand, lächelt. Sofia Kusmir ist Niklas’ Mama Nummer zwei, seine leibliche. Sie ist wenige Tage nach der Geburt gestorben. Auch Niklas kam mit Sauerstoffmangel zur Welt. Dass er heute durch die Wohnung flitzt, alleine auf die Toilette geht und selbst in die Schuhe schlüpft, grenzt an ein Wunder.

Sein Vater Alexander Mike kommt von der Küche ins Wohnzimmer. Während er sich an die letzten Tage seiner damaligen Freundin erinnert, steht er immer wieder auf, läuft zum Küchenfenster und raucht. Es ist jetzt vier Jahre her, als Sofia Kusmir mit Verdacht auf eine Schwangerschaftsvergiftung ins Krankenhaus kam. Die Geburt wurde mit mehr als 300 Mikrogramm Cytotec eingeleitet. „Das Aufklärungsgespräch hat fünf Minuten gedauert“, sagt Alexander Mike.

Am Abend, an dem Sofia Kusmir ein drittes Mal eine 100-Mikrogramm-Dosis Cytotec schluckte, habe sie über schlimme Bauchschmerzen geklagt. Man sagte ihr, eine Geburt sei schmerzhaft und wahrscheinlich werde es erst am nächsten Tag so richtig losgehen. Alexander Mike ging kurz vor Mitternacht.

Den Krankenhausakten zufolge brach Kusmirs Kreislauf kurze Zeit später zusammen, die Plazenta hatte sich frühzeitig gelöst. Sie starb später an Multiorganversagen. Laut dem vorläufigen Obduktionsgutachten gab es eine Blutung in der Bauchhöhle nach einem operativ behandelten Gebärmutterriss. „Es hieß, wir haben die heutigen Grenzen der Medizin erreicht, und wir können für sie nichts mehr machen“, sagt Mike. Er stand an der Glasscheibe und sah, wie sie die Geräte abstellten.

Sein Sohn überlebte. Niklas kommt schwach zur Welt, sein Leben hängt in den ersten Tagen an Geräten.

Georg Gerstner, ein Wiener Arzt, der als forensischer Gutachter arbeitet, schreibt über diesen Fall, es bestehe „kein Zweifel“ daran, dass ihr Tod und auch der Geburtsschaden von Niklas „durch die Geburtseinleitung mit Cytotec verursacht wurde“. Ein von der Staatsanwaltschaft beauftragter Gutachter urteilt, dass die Ursache von Sofia Kusmirs Kreislaufzusammenbruch ein „erheblicher Wehensturm“ war, durch den sich die Plazenta ablöste und Niklas unter drohendem Erstickungszustand zur Welt kam. Die verabreichte Menge Cytotec sei „kritisch hoch“. Die Klinik teilt mit, man habe sachgerecht gearbeitet, aufgeklärt und sehe keine Verbindung zu Cytotec.

Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen eingestellt, auch weil es schwer ist, einem Arzt eine zu hohe Dosis vorzuwerfen, wenn es keinen festgeschriebenen Höchstwert gibt. Um die Frage, ob Cytotec den Todesfall auslöste, ging es in dem Verfahren nicht. Der Vater hat ein zweites Gutachten beauftragt, er hofft, dass die Ermittlungen wiederaufgenommen werden. „Es geht um alle Frauen, die mal ein Kind bekommen“, sagt Jahn.

Mütter auf der ganzen Welt berichten von Problemen mit Cytotec. In Frankreich kam Timéo unter Sauerstoffmangel auf die Welt, seine Mutter Aurélie Joux ging an die Öffentlichkeit und gründete den Verein Timéo et les Autres – Timéo und die anderen. Dutzende Frauen fanden zusammen, auch drei Mütter, die ihre Babys verloren hatten. Die französische Gesundheitsbehörde ANSM warnt seither vor den schweren Nebenwirkungen von Cytotec.

Ähnlich war es in den USA. Maddy Oden gründete vor sechzehn Jahren die Tatia Oden French Memorial Foundation, nachdem ihre Tochter und deren Baby nach der Gabe von Cytotec starben. Im März 2007 reichte Maddy Oden eine Petition mit mehr als 1900 Unterschriften bei der US-Gesundheitsbehörde FDA ein und forderte strengere Prüfungen von Cytotec.

In Deutschland warnt die Überwachungsbehörde BfArM nicht. Keiner der Fälle, die BR und SZ recherchiert haben, ist der Behörde bekannt, dabei ist das Kriterium für die Meldung einer unerwünschten Wirkung allein der Verdacht.

Ärzte sind nach dem Arzneimittelgesetz nicht verpflichtet, Nebenwirkungen anzuzeigen, das muss nur der Hersteller tun. Der aber ist auf Ärzte angewiesen. Im Fall von Cytotec ist es besonders kompliziert. Ärzte haften, wenn sie Cytotec innerhalb der Therapiefreiheit verschreiben, und müssten sich selbst belasten. Vor zwei Jahren ergab eine Umfrage der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, dass juristische Unsicherheiten zu den häufigsten Gründen zählen, warum Ärzte Komplikationen nicht melden.

Die Überwachungsbehörde BfArM weiß nichts von Emil, der mit acht noch eine Windel trägt, sie weiß nichts von Niklas, den sein Vater jetzt Huckepack zum Grab der Mutter trägt. Niklas sagt „Mama“ zu dem Foto auf dem Grabstein und spricht ein paar Sätze in einer Sprache, die nur er und sein Vater verstehen. Es fängt an zu regnen, Niklas legt den Kopf in den Nacken und versucht, einen Tropfen mit seiner Zunge zu fangen. Ob Niklas irgendwann in der Lage sein wird, nach dem Tod seiner Mutter zu fragen, weiß Alexander Mike nicht. Aber wenn er fragt, will er seinem Sohn eine Antwort geben.

Den kompletten Artikel können Sie auf der Website der Süddeutschen Zeitung nachlesen. Außerdem ist er in der Druckausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 12.02.2020 (Seite 3) erschienen.

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