Urteile Medizinproduktehaftung

LG Köln 23. Zivilkammer, 17.05.2006, 23 O 523/05

Medizinrecht

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger klagt aus abgetretenem Recht seiner am 07.09.1967 geborenen Ehefrau. Die Ehefrau des Klägers unterzog sich im Oktober 1999 in den Städtischen Kliniken der Stadt Köln einer Brustoperation, bei der ihr Kochsalzbrustimplantate eingesetzt wurden. Diese Implantate werden durch die Firma D. in den USA hergestellt und von der Beklagten in der Bundesrepublik Deutschland vertrieben. Im März 2004 trat an dem rechten Brustimplantat ein deutlicher Volumenverlust auf. Während eines stationären Aufenthaltes im Zeitraum vom 20.04. bis zum 23.04.2004 wurden die beiden Implantate herausgenommen und gegen Silikonimplantate ausgetauscht. Anläßlich dieser Operation kam es zu Komplikationen in Form einer intensivmedizinischen Behandlung und Wundheilungsstörungen. Die Ehefrau des Klägers wurde Anfang Mai 2004 ein weiteres Mal operiert. Dabei wurde ihr nicht angewachsenes Gewebe entfernt. Die herausgenommenen Kochsalzimplantate wurden in einem Labor der Firma D. in den USA untersucht. Dabei wurde in einem Implantat ein 0,3 cm langer Riß festgestellt. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die anläßlich der Operationen im April 2004 entstandenen Kosten sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 5.000,00 €. Er behauptet, bei den verwendeten Kochsalzimplantaten handele es sich um Arzneimittel im Sinne von § 84 Abs. 1 AMG. Er beruft sich deshalb auf die Vermutung des § 84 Abs. 2 Satz 1 AMG. Vor der Operation im Oktober 1999 sei seiner Ehefrau keinerlei Informationsmaterial der Herstellerfirma ausgehändigt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens des Klägers wird auf den Inhalt des nachgelassenen Schriftsatzes vom 25.04.2006 (Bl. 90 ff. d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.661,04 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.06.2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte macht geltend: Sie vertreibe lediglich das fragliche Produkt, bei dem es sich um ein Medizinprodukt nach § 3 MPG handele. Das AMG sei daher nicht einschlägig. Ein Produktfehler nach dem Produkthaftungsgesetz sei weder tatsächlich noch rechtlich gegeben. Eine Haftung aus Delikt komme ebenfalls nicht in Betracht. Im übrigen erhebt die Beklagte Einwendungen zur Höhe. Das Gericht hat Hinweise erteilt in der mündlichen Verhandlung am 20.03.2006. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nicht begründet. Dem Kläger stehen – aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau – unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt die geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagte zu. Zunächst ist für alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen festzuhalten, daß die noch zu erörternden schadensersatzrechtlichen Vorschriften in ihrer bis zum 31.07.2002 geltenden Fassung Anwendung finden, Artikel 229 § 8 Abs. 1 EG BGB. Denn das schädigende Ereignis muß denknotwendig vor dem 01.08.2002 eingetreten sein, wie die Beklagte in der Klageerwiderung zu II. 4. mit Recht geltend macht. Vor diesem Hintergrund gilt folgendes: Das AMG ist entgegen den Vorstellungen des Klägers ganz unzweifelhaft nicht anwendbar. Bei den in Rede stehenden Kochsalzimplantaten handelt es sich schon nach der natürlichen Anschauung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbrauchers nicht um Arzneimittel sondern um Medizinprodukte.

Einschlägig ist § 3 Nr. 1 c) MPG, da die Kochsalzimplantate dem Zwecke der Veränderung des anatomischen Aufbaus zu dienen bestimmt sind und ihre bestimmungsgemäße Hauptwirkung im menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Methabolismus (Stoffwechsel) erreicht wird. Zu dieser Feststellung bedarf es nicht der Hinzuziehung eines Sachverständigen. Sie liegt eindeutig auf der Hand. Soweit der Kläger die Bestimmungen des AMG aufgrund des früheren Rechtszustandes für gegeben hält, ist darauf hinzuweisen, daß gemäß § 48 Abs. 1 und 2 MPG die bis zum 13.06.1998 laufende Übergangsfrist abgelaufen ist (vgl. auch KGR Berlin 2000, 390, 391).

Damit verbleiben denkbare Ansprüche aus Delikt und aus dem ProdHaftG. Letztere stellt die Beklagte nicht grundsätzlich in Abrede, obgleich sie nur als Vertreiberin des Produktes angesehen werden kann. Gleichwohl können auf sie entweder nach § 4 Abs. 2 oder jedenfalls nach § 4 Abs. 3 ProdHaftG die Bestimmungen dieses Gesetzes Anwendung finden. Eine derartige deliktische und/oder produkthaftungsrechtliche Haftung der Beklagten ist jedoch ebenfalls nicht gegeben. Der Kläger hat bis zuletzt einen zum Zeitpunkt des in Verkehrsbringens, vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG, vorliegenden Produktfehler im Sinne von § 3 Abs. 1 ProdHaftG nicht schlüssig dargetan.

Damit scheidet auch eine deliktische Haftung gem. § 823 Abs. 1 BGB aus. Denn die im Rahmen von § 3 Abs. 1 ProdHaftG in Betracht kommenden Fehlerquellen (Konstruktionsfehler, Fabrikationsfehler, Instruktionsfehler) sind aus dem Deliktsrecht entwickelt worden. Der Geschädigte ist nach dem ProdHaftG lediglich vom Nachweis eines Verschuldens des Herstellers befreit, unterliegt aber ansonsten denselben strengen Regeln der Darlegungs- und Beweislast wie bei Anwendung der allgemeinen Haftungsnorm des § 823 Abs. 1 BGB, vgl. auch § 1 Abs. 4 ProdHaftG und grundlegend BGHZ 116, 60 ff. (Urteil vom 12.11.1991).

Nach dem Sachvortrag des Klägers ist ein Konstruktions- oder Fabrikationsfehler nicht ersichtlich. Die Ursache des nachmalig festgestellten 0,3 cm langen Risses bei einem der eingesetzten Implantate ist unklar und wird vom soweit darlegungsbelasteten Kläger nicht näher ausgeführt. Der Vortrag des Klägers, die bei seiner Ehefrau verwendeten Implantate entzögen sich einer Veränderung durch äußere Ereignisse (vgl. Seite 5 des Schriftsatzes vom 25.04.2006 = Bl. 94 d. A.), trifft ganz offensichtlich nicht zu. Selbstverständlich können Implantate auch durch ein äußeres Trauma oder eine intensive körperliche Berührung (wie etwa dem unbeabsichtigten Stoß gegen einen Gegenstand) beschädigt werden und reißen. Darauf wird in den Beipackzetteln der Beklagten (Anlage B2 = Bl. 50 ff. d. A.) und in der vorgelegten Informationsbroschüre vom Mai 2000 (Anlage B3 = Bl. 59 ff. d. A.) mit Recht hingewiesen.

Die Bezugnahme des Klägers auf einen in englischer Sprache abgefaßten Bericht eines Herrn Dr. G2 ist ohne jede Substanz. Es ist überhaupt nicht dargetan, um wen es sich handelt und wie seriös die Quelle ist. Ein Instruktionsfehler seitens der Beklagten liegt ebenfalls nicht vor. Dabei ist unerheblich, ob es eine der Anlage B3 vergleichbare Informationsbroschüre bereits im Jahre 1999 gab. Fest steht, daß die Beklagte die Implantate nur an Ärzte, also an fachlich versierte Personen und nicht an den „Endverbraucher“, abgibt und dass sie die Ärzte über die Gefahren der Verwendung ihrer Implantate ausreichend informiert. Es ist dann Sache der Ärzte, diese Informationen an den Endverbraucher weiter zu geben. Wenn dies nicht geschehen ist, wie der Kläger behauptet, geht jener Umstand nicht zu Lasten der Beklagten.

Die Beklagte hat jedenfalls durch die Beifügung der Beipackzettel (Anlage B2 = Bl. 50 ff. d. A.) für eine hinreichende Instruktion der mit den Gefahren vertrauten Personen gesorgt. Weitergehende Produktbeobachtungspflichten trafen die Beklagte nicht (vgl. auch OLG Frankfurt, NRW-RR 2000, 1268 ff.). Vor diesem Hintergrund mußte der Klage der Erfolg versagt bleiben. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 und 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Streitwert: 10.661,04