Urteile Medizinproduktehaftung

ArbG Lübeck 1. Kammer, 30.10.2003, 1 Ca 343/03

Medizinrecht

Norm: § 280 Abs 1 S 1 BGB

Schadensersatzpflicht des Arbeitnehmers wegen Nichtabschluss einer Produktschutzversicherung – Kausalität.

Leitsatz

Unterlässt der hierzu verpflichtete Arbeitnehmer schuldhaft den Abschluss einer Produktschutzversicherung für die vom Arbeitgeber produzierten Erzeugnisse, so haftet er nur für den Schaden, der infolge des Nichtabschlusses der Versicherung von einem Versicherungsunternehmen nicht erstattet wird.

Fundstellen: Bibliothek BAG (Leitsatz 1 und Gründe) RuS 2004, 144-145 (red. Leitsatz 1 und Gründe)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Der Wert des Streitgegenstands beträgt EUR 830.478,62.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch. Der 1952 geborene Beklagte ist seit dem 01.07.1976 bei der Klägerin beschäftigt. Seit 01.01.1994 ist er Geschäftsführer der Klägerin auf Grundlage eines schriftlichen Anstellungsvertrags (Bl. 9-13 d. A.). Dem Beklagten ist die kaufmännische und technische Leitung des Gesamtbetriebes der Klägerin übertragen. Sein Nettoeinkommen betrug zuletzt EUR 4.450,87. Die Klägerin produziert u. a. Trinkmilch mit einer Haltbarkeit von 20 Tagen (Mili – Die Längerfrische) und liefert diese u. a. an eine. Die Mitglieder des Vorstands der Klägerin sind sämtlichst ehrenamtlich tätig. Hauptamtlich führt der Beklagte die Geschäfte. Am 29.08.2000 beschloss der Vorstand der Klägerin auf einer Sitzung, dass der Beklagte eine Produktschutzversicherung abschließen solle (Kopie des Vorstandsprotokolls auf Bl. 135 d. A.). Mit Schreiben vom 02.07.2001 unterbreitete die der Klägerin ein entsprechendes Angebot, bezüglich dessen Inhalt auf Bl. 14-16 d. A. verwiesen wird. Ausweislich des Schreibens hielt sich die an dieses Angebot bis zum 01.10.2001 gebunden. In der Zeit vom 13.-22.07.2001 war der Beklagte im Urlaub. In dieser Zeit wurde sein Büro komplett ausgeräumt, renoviert, neu möbliert und anschließend vom Beklagten wieder eingeräumt. Nach Vermutung beider Parteien kam bei dieser Gelegenheit das Angebot der abhanden. Der Beklagte unterbreitete dieses Angebot auch nicht auf der für den 27.07.2001 angesetzten nächsten Vorstandssitzung dem Vorstand. Im ersten Quartal 2002 lieferte die Klägerin infolge eines technischen Fehlers Milch aus, die vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums schlecht wurde. Hintergrund war, dass die Milch nicht ausreichend lange erhitzt wurde und dieser Fehler von dem dafür vorgesehenen Sensor nicht erfasst und auf dem Kontrollschirm angezeigt wurde. Die Milch entwickelte schon vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums einen käsigen Geruch. Sie war verdorben. Infolge dieses Reklamationsfalls kündigte der… die Lieferbeziehung fristlos und machte erhebliche Schadensersatzansprüche (Einzelheiten im Gesprächsprotokoll vom 28.03.2002, Bl. 149 d. A.) geltend. Die Klägerin zahlte an zur Abgeltung dieser Forderungen einen Vergleichsbetrag von EUR 250.000,00 und an ihren Prozessbevollmächtigten, der sie bei der Abwehr dieser Ansprüche vertrat, Beratungskosten in Höhe von EUR 16.850,53. Die Klägerin vernichtete darüber hinaus sämtliche Verpackungen in Sprache, die von ihr bereits vorproduziert waren, dann aber wegen Beendigung des Vertragsverhältnisses mit nicht weiter verwandt werden konnten im Gesamtwert in EUR 136.190,77. Für Reklamationsbearbeitungen in Deutschland, dass ist die Rückholung der Ware und die Erstattung des Kaufpreises, entstanden der Klägerin Kosten in Höhe von EUR 45.237,22. Den entgangenen Gewinn aus dem vorzeitig gekündigtem Vertrag mit errechnet sich die Klägerin für ein Jahr in Höhe von EUR 432.280,00. Die Klägerin ist der Auffassung, der Beklagte, bzw. die von ihr für den Beklagten abgeschlossene „Managerhaftpflichtversicherung“ müsse diesen Schaden erstatten. Hierzu trägt sie vor: Der Beklagte habe durch Nichtabschluss der Versicherung die Pflichten aus seinem Anstellungsvertrag verletzt. Sie behauptet, am 20.09.2000 habe ihr Vorstandsvorsitzender noch einmal ausdrücklich nachgefragt, ob eine Produktschutzversicherung abgeschlossen sei. Der Beklagte habe gesagt, er werde dies am 04.10.2000 beim nächsten Besuch des Versicherungsvertreters erledigen. Zu weiterem Nachhaken sei ihr Vorstand nicht verpflichtet gewesen. Bei dem Produktionsfehler Anfang 2002 habe es sich auch um einen Versicherungsfall im Sinne der Versicherungsbedingungen (Bl. 60-88 d. A.) gehandelt. Es handele sich um einen typischen Produktrückruffall mit den in diesen Fällen auftretenden Risiken, nämlich der Wertlosigkeit der Ware, der Rückerstattungspflicht des Einkaufspreises für die Warenabnehmer, der Wertlosigkeit der Transportkosten für die Lieferung an die Warenabnehmer, die Rückholkosten der Ware, usw. Sie sei gesetzlich zum Rückruf verpflichtet gewesen, das ergebe sich aus der durch die Rechtsprechung entwickelten weit umfassenden Sorgfaltspflicht des Lebensmittelherstellers einerseits sowie aus den Regeln des Produktsicherheitsgesetzes, das Produkthaftpflichtgesetzes und der Produkthaftung nach § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 8, 17 LMBG und Milchrecht. Hierbei handele es sich um eine gesetzliche Rückrufverpflichtung. Sie habe, um den Schaden gering zu halten, den Weg des „stillen Rückrufs“ gewählt. Der Beklagte habe grob fahrlässig gehandelt, da er trotz entsprechender Nachfrage ihres Vorstandsvorsitzenden den Auftrag des Vorstands zum Abschluss einer Produktschutzversicherung nicht wahrgenommen habe. Die von ihr geltend gemachten Schäden wären auch von der Versicherung ersetzt worden. 10 In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ihren Schadensersatzanspruch auch darauf gestützt, dass der Beklagte trotz seiner Verantwortlichkeit für die technische Leitung des Gesamtbetriebes den Fehler in der Produktion nicht verhinderthabe. Die Klägerin macht die genannten Schadenspositionen abzüglich eines Selbstbehalts von 50.000,00 EUR, den sie auch bei Abschluss einer Produktschutzversicherung hätte tragen müssen, geltend. Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin EUR 830.478,62 nebst gesetzlichen Zinsen ab Klagzustellung zu zahlen. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Richtig sei, dass er vergessen habe die Produktschutzversicherung dem Vorstand auf der Vorstandssitzung am 27.07.2001 vorzulegen. Es sei aber keinesfalls sicher, ob und ggf. zu welchen Bedingungen die Versicherung abgeschlossen worden wäre. Im übrigen liege auch kein Versicherungsfall vor, da die Klägerin keinen Rückruf ihrer Waren vorgenommen habe. Ihn treffe auch nur eine ganz leichte Schuld, da es in erster Linie Aufgabe von Vorstand und Aufsichtsrat sei, für den Abschluss der Versicherung zu sorgen. Es wären auch nicht sämtliche geltend gemachten Schäden von der Versicherung erstattet worden. Das Vorbringen der Klägerin zur Schadensersatzverpflichtung gegenüber der Firma sei unsubstantiiert. Diese Firma habe weitaus überhöhte Forderungen gegenüber der Klägerin erhoben. Er könne nicht beurteilen, welche Forderungen in welcher Höhe tatsächlich bestanden hätten, so dass die Berechtigung der Vergleichszahlung von 250.000,00 EUR nicht nachvollziehbar sei. Jedenfalls müssten für ihn die Grundsätze der Schadensteilung bei Arbeitnehmerhaftung eingreifen. Zwar habe die Klägerin für ihn eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen. Es bestehe aber ein Eigenanteil in Höhe von 50.000,00 EUR. Außerdem sei die Versicherungssumme auf 512.000,00 EUR beschränkt. Von diesem Betrag gingen noch vorrangig seine Anwaltskosten ab. Er laufe Gefahr mit annähernd 400.000,00 EUR persönlich in Anspruch genommen zu werden. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ihren Schadensersatzanspruch auf einen Überwachungsfehler begründet habe, sei dieses Vorbringen als verspätet zurückzuweisen. Jedenfalls müsse die Klägerin von ihrem Ersatzansprüchen nicht nur den Selbstbehalt in Höhe von 50.000,00 EUR, sondern auch die ersparte Versicherungsprämie in Höhe von 23.600,00 EUR und die ersparte Versicherungssteuer in Höhe von EUR 3.776,00 abziehen. Wegen des weiteren Sach- und Streitstands im einzelnen wird auf den Inhalt der Akte verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nicht begründet. Ein Anspruch nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB steht der Klägerin nicht zu.

I. Soweit die Klägerin ihren Anspruch damit begründet, der Beklagte habe durch den Nichtabschluss einer Produktschutzversicherung seine Pflichten aus dem bestehenden Anstellungsverhältnis verletzt, scheidet ein Ersatzanspruch aus, weil der bei der Klägerin unstreitig entstandene Schaden nicht kausal auf dieser Pflichtverletzung beruht. Auch bei Abschluss einer Produktschutzversicherung wäre der geltend gemachte Schaden nicht ersetzt worden, denn es ist kein Versicherungsfall im Sinne der Versicherungsbedingungen eingetreten. Im einzelnen gilt hierzu Folgendes: . Durch den Nichtabschluss einer Produktschutzversicherung hat der Beklagte die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verletzt. Aufgabe des Beklagten nach seinem Arbeitsvertrag ist die kaufmännische und technische Leitung des Gesamtbetriebs der Klägerin. Zur kaufmännischen Leitung gehört es auch, die Klägerin gegen Risiken bei der Produktion abzusichern, insbesondere auch durch den Abschluss entsprechender Versicherungen. Allerdings obliegt es einem kaufmännischen Leiter, im Hinblick auf die Kosten einer solchen Versicherung – hier immerhin 23.600,00 EUR zzgl. Versicherungssteuer für 3 Jahre – abzuwägen, ob das Risiko eines Schadens in Kauf genommen werden soll oder nicht. Eine entsprechende Abwägung durfte der Beklagte im vorliegenden Fall aber nur noch zu Gunsten des Abschlusses einer Produktschutzversicherung vornehmen. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass der Vorstand ihn bereits durch Beschluss vom 29.08.2000 mit dem Abschluss einer entsprechenden Versicherung beauftragt hatte. Dem Beklagten war dieser Vorstandsbeschluss auch bekannt, denn er hat sich im Anschluss an den Vorstandsbeschluss um ein entsprechendes Angebot einer Versicherung bemüht. Im Hinblick auf die enormen Risiken, die durch einen Fehler in der Produktion entstehen können, bestand nach Auffassung der Kammer im übrigen auch ohne entsprechenden Vorstandsbeschluss eine Verpflichtung des Beklagten zum Abschluss einer entsprechenden Versicherung. Der Beklagte wäre – das ist zwischen den Parteien unstreitig – zum Abschluss einer solchen Versicherung auch sowohl gegenüber der Versicherung im Außenverhältnis als auch im Innenverhältnis gegenüber der Klägerin berechtigt gewesen.

Am Nichtabschluss der Versicherung trifft den Beklagten auch ein Verschulden. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Beklagte den Abschluss vergessen hat, im wesentlichen deshalb, weil das Angebot der vermutlich beim Einräumen des Büros im Juli 2002 verloren ging. Es fehlt jedoch an einem kausalen Schaden. Dies setzt nämlich voraus, dass der Produktionsfehler im ersten Quartal 2002 zu einem Versicherungsfall im Sinne der Versicherungsbedingungen geführt hätte. Der Versicherungsfall der in Rede stehenden Produktschutzversicherung ist in Ziffer 3.1.1 (Bl. 65 d. A.) definiert.

Danach ist Versicherungsfall „der Rückruf von Produkten des Versicherungsnehmers

– aufgrund einer gesetzlichen Rückrufverpflichtungund/oder

– aufgrund behördlicher Anordnung….

Ferner besteht Versicherungsschutz „bei Rückrufen auch, wenn unabhängig von dem Vorliegen oder Nichtvorliegen einer gesetzlichen Rückrufverpflichtung, der Konsum eines versicherten Produktes zu… Krankheit einer Person innerhalb von 120 Tagen nach solchem Konsum führt oder führen könnte.“

In allen Varianten des Versicherungsfalles ist demnach der Rückruf des Produkts Voraussetzung für die Eintrittspflicht der Versicherung. Das ist zwischen den Parteien auch nicht streitig. Die Klägerin, die unstreitig in Deutschland nur die Reklamationen von Kunden bzw. ihren Abnehmern bearbeitet und durch entsprechenden Austausch/Rückerstattung des Geldes geregelt hat und im übrigen von der Firma in Anspruch genommen wurde, meint, damit seien die Voraussetzungen für einen „stillen Rückruf“ gegeben. Dieser – ersichtlich aus dem Bereich des Lebensmittelrechts stammende Begriff, hat in den Versicherungsbedingungen jedoch keinen Niederschlag gefunden. Vielmehr ist in den Versicherungsbedingungen (a. a. O.) ausdrücklich definiert, was die Versicherungen unter dem Versicherungsfall „Rückruf“ versteht. Es heißt dort: „Rückruf ist die Aufforderung an Händler, Verbraucher oder sonstige Produktbesitzer, die versicherten Produkte… zurückzubringen“. Eine solche Aufforderung der Klägerin an Händler, Verbraucher oder sonstige Produktbesitzer ist unstreitig nicht erfolgt. Damit wäre die Versicherung im vorliegenden Fall auch nicht einstandspflichtig gewesen, wenn eine Versicherung abgeschlossen worden wäre. Der „stille Rückruf“ ist nicht versichert.

II. Soweit die Klägerin die Haftung des Beklagten im Termin auf einen Überwachungsfehler gestützt hat, ist ihr Vorbringen nicht hinreichend konkret. Es hätte dargelegt werden müssen, welche Verhaltenspflicht genau der Beklagte nicht erfüllt hat. Allein aus dem Eintritt eines bestimmten (Miss-) Erfolgs kann nicht geschlossen werden, dass eine Verhaltenspflicht durch den Kläger verletzt wurde. Im übrigen fehlt es auch an jeglicher Darlegung der Klägerin, dass der Beklagte eine etwaige Pflicht schuldhaft verletzt hätte. Insofern ist zu beachten, dass für das Verschulden eines Arbeitnehmers nach § 619 a BGB der Arbeitgeber darlegungsbelastet ist.

III. Welche der einzelnen geltend gemachten Schäden von der Versicherung erstattet worden wären bedarf daher ebenso wenig eine Entscheidung wie die Frage, ob der Beklagte sich im Hinblick auf die von der Klägerin für ihn abgeschlossenen Managerhaftpflichtversicherung auf die Grundsätze der Schadensteilung bei betrieblicher Tätigkeit berufen kann.

IV. Die weiteren Entscheidungen beruhen auf den § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, 61 Abs. 1 ArbGG.