Verkehrsrecht

Das Schadensersatzrecht im BGB und StVG

I. Grundlagen des allgemeinen Haftungsrechts

Fall (Standardfall): Der A befindet sich auf seinem Skateboard auf dem Weg nach Hause. Er gerät auf seinem Skateboard außer Kontrolle und übersieht die ihm entgegenkommende B. A fährt direkt in B hinein. Daraufhin stürzt B zu Boden und zieht sich eine Platzwunde am Kopf zu. Während des Sturzes ist ihr auch noch die Brille von der Nase gefallen und zerbrochen.

B möchte von A Schadensersatz.

Das geltende Haftungsrecht beruht auf zwei Säulen: der Haftung innerhalb und außerhalb einer Sonderverbindung. Sonderverbindung bedeutet, dass eine vertragliche oder vertragsähnliche Regelung (z.B. §§ 280, 683 ff. BGB ) zwischen Schädiger und Geschädigtem besteht.

Zurück zum Ausgangsfall:

B möchte von A Schadensersatz. Eine vertragliche Beziehung zwischen den beiden liegt nicht vor. Dennoch hat A die B verletzt und ihr Eigentum, also die Brille, beschädigt. Dafür muss er auch aufkommen. Es ist also eine Haftung auch außerhalb einer Sonderverbindung notwendig. Diese teilt sich in zwei große Gruppen auf: die Haftung aus Delikt ( = aus unerlaubter Handlung nach den §§ 823 ff. BGB ) und die Haftung für Gefährdung.

1. Voraussetzungen der deliktischen Haftung

B möchte von A Schadensersatz für die Platzwunde, also die Behandlungskosten und die kaputte Brille.

a) In Betracht kommt ein Anspruch aus § 823 I BGB:

aa) Wortlaut: „Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.“

bb) die Voraussetzungen im einzelnen:

(1) Im Tatbestand setzt § 823 I eine Rechtsguts- oder Rechtsverletzung der aufgeführten Rechtgüter voraus:

  • Leben
  • Körper/Gesundheit
  • Freiheit
  • Eigentum

(2) Die Rechtsgutsverletzung muss durch ein Handeln, das dem Anspruchsgegner zuzurechnen ist, geschehen sein.

(3) Die Handlung muss rechtswidrig und verschuldet gewesen sein.

cc) Falllösung: A hat hier den Körper und das Eigentum der B verletzt. Er hat den Tatbestand des § 823 I BGB erfüllt.

Das Gesetz geht hier vom Verschuldensprinzip aus: die Verantwortlichkeit trifft grundsätzlich denjenigen, der den Schaden rechtswidrig und schuldhaft verursacht hat.

Indem A die B übersehen und zu Fall gebracht hat, ließ er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht. Er handelte fahrlässig und hat damit die Verletzung der B verschuldet.

Ergebnis: B kann von A den ihr entstandenen Schaden aus §§ 823 I, 249 BGB ersetzt verlangen.

b) Exkulpationsmöglichkeit ( = Entlastungsmöglichkeit ) nach § 831 BGB

Wie gerade dargestellt muss das Verschulden des Schädigers grundsätzlich nachgewiesen werden.

In bestimmten Fällen wird jedoch das Verschulden widerlegbar vermutet, sodass der Schädiger haftet, wenn er sich nicht exkulpiert, d.h. entlastet.

Fall: Der bei Klempner K angestellte Mitarbeiter T hat bei einem Kunden, anstatt einen Wasserrohrbruch zu beseitigen, den kompletten Keller unter Wasser gesetzt, was zu einem erheblichen Schaden an der Bausubstanz des Hauses geführt hat.

Es stellt sich die Frage, ob K, als Arbeitgeber, für den von T verursachten Schaden einstehen muss.

In Betracht kommt eine Haftung nach § 831 I Satz 1 BGB:

aa) Wortlaut: „Wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der andere in der Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt.“

K hat den T bei sich angestellt. Er hat ihn daher „zur Verrichtung bestellt“.

Danach haftet K für den von T angerichteten Schaden aus § 831 I 1 BGB aus Delikt.

bb) Diese pauschale Haftung tritt aber nicht ein, wenn sich K nach § 831 I 2 BGB entlasten kann.

(1) Wortlaut: „Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Geschäftsherr bei der Auswahl der bestellten Person und, sofern er Vorrichtungen oder Gerätschaften zu beschaffen oder die Ausführung der Verrichtung zu leiten hat, bei der Beschaffung oder der Leitung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder wenn der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde.“

K hat seinerseits bei der Auswahl alles Erforderliche getan, d.h. hat er die für die Verrichtung erforderliche Qualifikation verlangt sowie überprüft. K kann sich nach § 831 I 2 BGB exkulpieren und haftet nicht für das Missgeschick des T nach § 831 BGB.

(2) Natürlich kommt eine Haftung des K aus einer Sonderverbindung (aus Vertrag) in Betracht. Diese soll hier aber außer Acht gelassen werden.

2. Gefährdungshaftung

In bestimmten Bereichen ist das Gesetz von der Verschuldenshaftung abgerückt und hat eine Gefährdungshaftung angeordnet.

Gefährdungshaftung bedeutet eine verschuldensunabhängige Haftung, also eine Haftung, die weder Rechtswidrigkeit noch Verschulden voraussetzt. Für die Gefährdungshaftung gibt es keine Generalklausel. Der Schwerpunkt der Gefährdung liegt bei der technischen Gefährdung (§ 7 StVG, §§ 1, 2 HaftPflichtG). Hinzu tritt die Produzentenhaftung nach dem ProdukthaftG. Das BGB kennt in § 833 Satz 1 der Tierhalterhaftung eine Gefährdungshaftung

Zum Ausgangsfall: Es liegt eine Körperverletzung vor, wie vorhin festgestellt, so dass B gegen A einen Anspruch auf Schmerzensgeld aus § 847 I BGB hat.

Der Schmerzensgeldanspruch zwischen A und B ergibt sich jetzt aus §§ 823 I, 253 II BGB.

Der Wortlaut des § 253 II BGB lautet:

Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangt werden.“

Voraussetzungen des § 253 II BGBim einzelnen:

– Bestehen eines Schadensersatzanspruchs aus vertraglicher oder außervertraglicher, verschuldensabhängiger oder verschuldensunabhängiger Haftung

– wegen der Verletzung von Körper, Gesundheit, Freiheit oder sexueller Selbstbestimmung.

Der Gesetzgeber hat den Anspruch auf Schmerzensgeld wie auch den Schadensersatz im allgemeinen Teil des Schuldrechts angesiedelt.

B hat gegen A auch nach neuer Rechtslage einen Anspruch auf Schmerzensgeld und zwar

aus §§ 823 I, 253 II BGB.

b) Schmerzensgeld, wenn keine deliktische Haftung besteht.

Fall: Der Hauseigentümer aus dem obigen Klempnerfall rutscht auf dem nassen Kellerboden aus und bricht sich ein Bein.

Es gilt ein umfassender, vom Haftungsgrund unabhängiger Anspruch auf Schmerzensgeld bei Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung. Der Anspruch auf Schmerzensgeld besteht jetzt auch bei Vertragshaftung und bei Gefährdungshaftung.

Aus diesem umfassendem Charakter des Schmerzensgeldanspruchs erklärt sich auch sein Standort im allgemeinen Schuldrecht. Die Vorschrift des § 847 I konnte entfallen.

Zum Ausgangsfall: Der Hauseigentümer hat einen vertraglichen Anspruch auf Schmerzensgeld gegen den Klempner K aus §§ 280 I, 253 II BGB.

Wortlaut des § 280 I BGB:

„Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.“

§ 280 I BGB regelt die Fälle der vertraglichen Schadensersatzhaftung, also wenn im Rahmen eines Vertragsverhältnisses eine Vertragspflicht verletzt worden ist.

Der Klempner K muss sich das schuldhafte Handeln des bei ihm angestellten T als Erfüllungsgehilfe nach § 278 Satz 1 BGB zurechnen lassen.

Wortlaut § 278 Satz 1 BGB:

„Der Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten, wie eigenes Verschulden.“

Die Zurechnungsnorm für das Verschulden Dritter des § 278 S.1 BGB ist erheblich weiter als die des § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB. Anders als § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB enthält § 278 BGB auch keine Entlastungsmöglichkeit für den Vorgesetzten.

Der Schmerzensgeldanspruch bei Gefährdungshaftung im Straßenverkehr ergibt sich aus § 11 S. 2 StVG.

III. Die Gefährdungshaftung nach dem StVG

Allgemein: Das StVG stellt für die Haftung von an Unfällen im Straßenverkehr Beteiligten eine Sonderregelung zum allgemeinen Deliktsrecht der §§ 823 BGB ff. dar.

Es finden sich Tatbestände der Gefährdungshaftung, d.h. der verschuldensunabhängigen Haftung, und der Haftung für vermutetes Verschulden.

Ansprüche aus Gefährdungshaftung enthalten:

– § 7 I StVG : die Halterhaftung:

Da die Haftung des Halters eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers eine

Gefährdungshaftung ist, haftet der Halter auch, wenn er sich weder verkehrswidrig

noch schuldhaft verhält. Grund dafür ist, dass er allein mit dem Betrieb eines Kfz oder Anhängers die damit verbundenen Gefahren veranlasst hat.

Ansprüche aus vermutetem Verschulden enthalten:

– § 18 StVG: die Fahrerhaftung beruht nicht auf der Gefährlichkeit des Kfz oder des

Anhängers. Haftungsgrund ist das vermutete Verschulden des Fahrers.

Aus § 16 StVG ergibt sich, dass die Ansprüche aus den §§ 823 BGB ff. BGB neben den Ansprüchen aus dem StVG anwendbar sind. Es besteht Anspruchskonkurrenz.

3. höhere Gewalt und unabwendbares Ereignis

Fall 1 : Der betrunkene Autofahrer A verursacht einen Busunfall. Der Halter des Busses ist B. Bei dem Unfall wird auch der Fahrgast F verletzt. Der Fahrer des Busses hat sich wie ein Idealfahrer verhalten.

a) Ansprüche des Autofahrers A gegen den Halter des Busses B:

Es kommt ein Anspruch aus §§ 7 I, 17 III StVG in Betracht.

Wortlaut des § 7 I StVG :

„Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers, der dazu bestimmt ist, von einem Kraftfahrzeug mitgeführt zu werden, ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzten.“

Prüfungsschema § 7 StVG:

I. Anspruchsbegründende Voraussetzungen:

1. Unfall beim Betrieb eines Kfz

2. Schädiger ist Kfz-Halter

3. Rechtsgutsverletzung:

– Leben
– Körper
– Gesundheit
– Eigentum
– Kausalität

a. Haftungsbegründende Kausalität zwischen Unfall und Rechtsgutsverletzung

b. Schaden

c. haftungsausfüllende Kausalität zwischen Rechtsgutsverletzung und Schaden

II. Haftungsausschlüsse:

1. Haftungsbefreiung bei „höherer Gewalt“ § 7 II StVG

2. Unfall mit einem weiteren motorisierten Verkehrsteilnehmer: keine Haftung, wenn „unabwendbares Ereignis gem. § 17 III StVG

3. Fahrzeug wird unbefugt benutzt § 7 III StVG

4. Fahrzeug kann nicht schneller als 20 km/h fahren § 8 Nr. 1 StVG

5. Eine beim Betrieb des Fahrzeugs tätige Person wird verletzt § 8 Nr. 2 StVG

6. Eine beförderte Sache wird beschädigt § 8 Nr. 3 StVG

§ 17 III StVG regelt den Schadensausgleich zwischen mehreren haftpflichtigen Fahrzeughaltern regelt.

Wortlaut des 17 III StVG:

„Die Verpflichtung zum Ersatz nach den Absätzen 1 und 2 (Schadensverursachung durch mehrere Kraftfahrzeuge) ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wird, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeugs noch auf dem Versagen seiner Vorrichtungen beruht.“

Zurück zum Ausgangsfall: Ein Anspruch des Autofahrers gegen den Halter des Busses scheidet damit auch nach neuer Rechtslage gemäß § 17 III S. 1 StVG aus.

b) Ansprüche des Busfahrers B gegen den Autofahrer A:

Der Busfahrer hat gegen den den betrunkenen Autofahrer A nach alter und neuer Rechtslage einen Anspruch aus § 7 I StVG.

c) Ansprüche des Fahrgastes F gegen den Halter des Busses B:

In Betracht kommt ein Anspruch nach § 7 I StVG, dessen Voraussetzungen auch vorliegen. Eine Entlastung nach § 7 II StVG kommt jetzt nur noch beim Vorliegen von „höherer Gewalt“ in Betracht.

Definition des begriffs höhere Gewalt. Siehe hierzu BGH, Urteil vom 23.10.1952,III ZR 364/51, JURIS:

„Ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlichen Mitteln auch durch die äußere Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit in Kauf zu nehmen ist.“

Der Zusammenstoss mit dem betrunkenen Autofahrer A fällt ( aus der Sicht des Bushalters) nicht unter die Kategorie der „höheren Gewalt“. Der Anspruch des Fahrgastes F gegen den Halter des Busses aus § 7 I StVG bleibt daher bestehen.

2. Mitverschulden nach § 254 BGB und § 9 StVG

Fall 2: Der betrunkene Fußgänger A verursacht einen Busunfall (Halter B), bei dem auch der Fahrgast F verletzt wird. Der Bus fuhr ideal.

a) Ansprüche des Fußgängers A gegen den Halter B:

Der Anspruch aus § 7 I StVG bleibt bestehen, da keine höhere Gewalt im Sinne des § 7 II StVG vorliegt.

Für die Haftung bzw. Haftungsbefreiung mit nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern ergeben sich also Änderungen. Wer sich bisher durch den Nachweis eines „unabwendbaren Ereignisses“ entlasten konnte, weil auch ein Idealfahrer den Unfall hätte nicht vermeiden können, kann sich über den Mitverschuldenseinwand der §§ 9 StVG, 254 BGB einer Haftung entziehen.

§ 9 StVG lautet:

„Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt, so finden die Vorschriften des § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuches mit der Maßgabe Anwendung, dass im Fall der Beschädigung einer Sache das Verschulden desjenigen, welcher die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt, dem Verschulden des Verletzten gleichsteht.“

§ 254 I BGB lautet:

Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem eine oder anderen Teil verursacht worden ist.

B kann sich hier vollständig enthaften.

b) Ansprüche des Fahrgastes F gegen Halter des Busses B:

Hier beteht ein Anspruch aus § 7 I StVG.