{"id":242,"date":"2016-05-31T15:40:11","date_gmt":"2016-05-31T13:40:11","guid":{"rendered":"https:\/\/ratgeber-arzthaftung.de\/de\/?page_id=242"},"modified":"2016-06-17T19:23:48","modified_gmt":"2016-06-17T17:23:48","slug":"haftung-bei-sturzfaellen-im-krankenhaus-alten-oder-pflegeheim","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/ratgeber-arzthaftung.de\/de\/kanzlei\/dr-ruth-schultze-zeu-anwalt-arzthaftung\/vortraege\/haftung-bei-sturzfaellen-im-krankenhaus-alten-oder-pflegeheim\/","title":{"rendered":"Haftung bei Sturzf\u00e4llen im Krankenhaus, Alten- oder Pflegeheim"},"content":{"rendered":"
Bundesweit gab es im Dezember 2001 \u00fcber 8.000 zugelassene Pflegeheime mit vollstation\u00e4rer\u00a0Dauerpflege. Insgesamt wurden hier \u00fcber 600.000 Pflegebed\u00fcrftige betreut. Wegen der\u00a0l\u00e4ngeren Lebenserwartung steigt die Zahl der \u00e4lteren Menschen absolut und in Verbindung\u00a0mit einer abnehmenden Zahl von Geburten auch ihr Anteil an der Gesamtbev\u00f6lkerung.<\/p>\n
Die\u00a0\u201eR\u00fcrup-Kommission\u201c\u00a0geht deswegen in ihrer Prognose zur Bev\u00f6lkerungsentwicklung davon\u00a0aus, dass die Zahl der Pflegebed\u00fcrftigen der sozialen Pflegeversicherung von derzeit rd. 1,9\u00a0Mio. bis zum Jahr 2040 auf rd. 3,4 Mio. (station\u00e4r und ambulant) ansteigen wird (Seite 107).<\/p>\n
Der Anteil Demenzkranker unter den pflegeheimbewohnern liegt bei \u00fcber 50 % mit steigender\u00a0Tendenz (S.199). Demenz bedeutet Desorientiertheit, unkontrollierte Hyperaktivit\u00e4t, akute\u00a0Verwirrtheit verbunden mit der Unf\u00e4higkeit, sich frei zu bewegen. Dies ist eine der\u00a0schlimmsten Bedrohungen f\u00fcr ein selbst bestimmtes Leben im Alter. K\u00f6rperlicher, geistiger\u00a0und psychischer Leistungsverlust bedingen und verst\u00e4rken sich gegenseitig.<\/p>\n
Risikofaktoren<\/strong><\/p>\n 1) Funktionseinbu\u00dfen und Funktionsbeeintr\u00e4chtigungen<\/strong><\/p>\n 2) Sehbeeintr\u00e4chtigungen<\/strong><\/p>\n 3) Beeintr\u00e4chtigung der Kognition und Stimmung<\/strong><\/p>\n 4) Erkrankungen, die zu kurzzeitiger Ohnmacht f\u00fchren<\/strong><\/p>\n 5) Inkontinenz<\/strong><\/p>\n 6) Angst vor St\u00fcrzen<\/strong><\/p>\n 7) Sturzvorgeschichte<\/strong><\/p>\n 8) Personenbezogene Gefahren<\/strong><\/p>\n 9) Medikamente<\/strong><\/p>\n 10) Gefahren in der Umgebung<\/strong><\/p>\n Innen:<\/p>\n Medien, Gesellschaft, Staat, Gesetzgebung, Gerichte, Forschung, die Medizin und betroffene\u00a0Einrichtungen befassen sich immer gr\u00fcndlicher mit diesem Ph\u00e4nomen. Vorrangig geht es\u00a0darum, Standards der Pflege in geriatrischen Kliniken, Altenheimen und Pflegeheimen zu\u00a0entwickeln, die m\u00f6glichst auf Rehabilitation gerichtet sind. Vor allem in den Pflegeheimen \u2013\u00a0aber nicht nur dort \u2013 sind die Bewohner vor St\u00fcrzen zu bewahren, die zu den gro\u00dfen Gesundheitsrisiken\u00a0im Alter z\u00e4hlen. Laut einer internationalen Studie zur Vorbeugung von St\u00fcrzen\u00a0in der station\u00e4ren Altenpflege belaufen sich die Operations- und Behandlungskosten\u00a0nach St\u00fcrzen bundesweit auf rund eine Milliarde Mark pro Jahr. Jeder Sturz kann eine Rehabilitation\u00a0endg\u00fcltig unm\u00f6glich machen.<\/p>\n Es geht schlicht um die Frage, welche Ma\u00dfnahmen die Einrichtungen ergreifen d\u00fcrfen und\u00a0sollen, um die Schutzbefohlenen unter Wahrung der Menschw\u00fcrde vor k\u00f6rperlichen Sch\u00e4den\u00a0zu bewahren.<\/p>\n Die oberstgerichtliche Haftpflicht-Rechtsprechung begleitet diese Entwicklungen eher zur\u00fcckhaltend\u00a0und sicherlich nicht in jeder Hinsicht sachkompetent. Die Urteile bleiben oft an\u00a0der Oberfl\u00e4che des komplexen Sachverhalts, was daran liegen mag, dass die Kl\u00e4ger nicht\u00a0hinreichend die geltend gemachten Regressanspr\u00fcche durch Sachvortrag untermauern.<\/p>\n Vor\u00a0allem wird offensichtlich nicht erkannt, welches Arsenal an Ma\u00dfnahmen den Einrichtungen\u00a0zur Verf\u00fcgung steht, um St\u00fcrze zu vermeiden oder, was diese zu tun haben, den Vorwurf\u00a0eins Organisationsverschulden abzuwenden. Nach Begriffen wie Sturzmanagement oder\u00a0Sturzprophylaxe sucht man in der einschl\u00e4gigen Rechtsprechung vergeblich.<\/p>\n Auf die Darstellung,\u00a0ob und wie die aufnehmende Einrichtung in Kooperation mit dem behandelnden Arzt\u00a0und m\u00f6glicherweise einem Psychologen sowie den Angeh\u00f6rigen den k\u00fcnftigen Bewohner\u00a0unter Einsatz von Testverfahren befragt hat, um die k\u00f6rperlichen, neuropsychologischen und\u00a0kognitiven F\u00e4higkeiten zu bestimmen, wird verzichtet.<\/p>\n Von den M\u00f6glichkeiten eines geriatrischen\u00a0Assessments, in dessen Verlauf die medizinischen, psychischen, sozialen und\u00a0funktionellen Einschr\u00e4nkungen und Ressourcen des k\u00fcnftigen Bewohners erfasst und protokolliert\u00a0werden, scheint man noch nicht geh\u00f6rt zu haben. Die Verpflichtung der aufnehmenden\u00a0Einrichtung, im Zweifelsfall die Aufnahme abzulehnen, wenn es die Sicherheit des Interessenten\u00a0unter Beachtung der Anamnese nicht gew\u00e4hrleisten kann, wird nicht thematisiert.<\/p>\n Erst die Ergebnisse einer solchen Anamnese in Verbindung mit dem Bericht des behandelnden\u00a0Arztes erm\u00f6glichen jedoch Prognosen f\u00fcr eine Sturzgef\u00e4hrdung des k\u00fcnftigen Bewohners\u00a0oder Patienten. Sie sind Grundlage f\u00fcr den individuellen t\u00e4glichen Behandlungsplan\u00a0eines jeden Schutzbefohlenen, der zudem die Wirtschaftlichkeit und die zur Verfugung stehenden\u00a0Ressourcen der Einrichtung zu beachten hat.<\/p>\n Er ist st\u00e4ndig von der verantwortlichen\u00a0Pflegekraft fortzuschreiben. Pflegedokumentationen, in denen Verhaltensauff\u00e4lligleiten \u2013 vor\u00a0allem vorangegangene St\u00fcrze \u2013 festzuhalten sind, werden nicht herangezogen, usw. V\u00f6llig\u00a0unzureichend ist es, wenn darauf verzichtet wird, aufzukl\u00e4ren, welche sedierenden Medikamente\u00a0\u2013 vor allem Psychopharmaka \u2013 in welcher Dosierung dem Betreffenden \u00e4rztlich verordnet\u00a0worden sind, und was ihm das Pflegepersonal laut Dokumentation verabreicht hat\u00a0(Problem der bevorratenden Medikation). Medikamente dieser Art erh\u00f6hen h\u00e4ufig die Sturzgefahr.<\/p>\n Skandal\u00f6s ist es, wenn Gerichte zwar eine Sturzgefahr best\u00e4tigen, aber dann kuzschl\u00fcssig\u00a0meinen, die Einrichtung habe ein Bettgitter nicht verwenden d\u00fcrfen, weil dies freiheitsentziehend\u00a0wirke, ohne zu erw\u00e4gen, welche anderen Ma\u00dfnahmen in Frage kommen k\u00f6nnten, oder\u00a0ob das Vormundschaftsgericht einzuschalten ist (\u00a71906 BGB). Siehe hierzu im Einzelnen der\u00a0Katalog m\u00f6glicher Ma\u00dfnahmen am Ende dieser Ausf\u00fchrungen.<\/p>\n M\u00f6glicherweise verzichten\u00a0vor allem Altenheime und Pflegeheime h\u00e4ufig darauf, alternative Schutzma\u00dfnahmen zu erw\u00e4gen,\u00a0weil sie h\u00f6here Folgekosten f\u00fcr Sonderanschaffungen scheuen und stattdessen auf\u00a0die normale Ausstattung der Einrichtung zur\u00fcckgreifen oder von vornherein darauf verzichten.\u00a0Die Pflicht der GKV zur Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln nach der gesetzlichen\u00a0Konzeption des SGB V und SGB XI endet dort, wo bei vollstation\u00e4rer Pflege die Pflicht\u00a0des Heimtr\u00e4gers zur Versorgung der Heimbewohner mit Hilfsmitteln einsetzt.\u00a0Es verwundert nicht, da\u00df in j\u00fcngster Zeit die Regressabteilungen der Kranken \u2013 und Pflegekassen\u00a0wegen der immens hohen Folgekosten immer h\u00e4ufiger in Sturzf\u00e4llen unter Hinweis\u00a0auf die Obhutsverpflichtungen der Einrichtungen Schadensersatzanspr\u00fcche geltend machen.<\/p>\n Der Referent f\u00fcr Medizinschadenf\u00e4lle bei der GVV-Kommunalversicherung in K\u00f6ln meint die\u00a0Versicherungen seien der Auffassung, in den Einrichtungen m\u00fcsse rund um die Uhr eine\u00a0l\u00fcckenlose \u00dcberwachung der Bewohner und Patienten sichergestellt werden. Aus deren\u00a0Sicht sei es belanglos, ob dies gegen den Willen der Betroffenen geschehe und ob Zwangsma\u00dfnahmen\u00a0eingesetzt werden.<\/p>\n Diese Pauschalierung wird sicherlich nicht der Wirklichkeit\u00a0gerecht. Richtig ist aber: Es ist au\u00dferordentlich dringlich, den Einrichtungen und den gerichtlich\u00a0bestellten Betreuern die rechtlichen Handlungsvorgaben m\u00f6glichst \u00fcbersichtlich nahe zu\u00a0bringen, ja sie in gewisser Weise im eigenen Interesse und im Interesse der Schutzbefohlenen\u00a0zu erziehen. Gerichte einschlie\u00dflich der Vormundschaftsgerichte, Rechtsanw\u00e4lte und\u00a0Regressabteilungen m\u00fcssen im Zusammenwirken mit dem Gesetzgeber f\u00fcr eindeutige Vorgaben\u00a0sorgen. Im Hintergrund sind zahlreiche Instanzen f\u00fcr das Einhalten der erforderliche\u00a0Betreuungsqualtit\u00e4t zust\u00e4ndig:<\/p>\n Verlangt der Gesch\u00e4digte oder seine Kranken \u2013 oder Pflegeversicherung Schadensersatz,\u00a0sind einige Besonderheiten zu beachten. Die betreuende Einrichtung ist grunds\u00e4tzlich aufgrund\u00a0des Behandlungs- bzw. Heimvertrages sowie Deliktsrechts (Verkehrssicherungspflichten)\u00a0verpflichtet, f\u00fcr seine Patienten bzw. Bewohner Gefahrenquellen zu vermeiden und zu\u00a0beseitigen. Sie muss alle zumutbaren Ma\u00dfnahmen zur Schadensabwehr treffen. Kommt sie\u00a0diesen Pflichten nicht nach und verursacht dadurch Sch\u00e4den, hat sie f\u00fcr diese grunds\u00e4tzlich\u00a0einzustehen.<\/p>\n Die Vertrags- und Verkehrssicherungspflichten sind regelm\u00e4\u00dfig unter Abw\u00e4gung\u00a0der Rechte des Einzelnen und der Funktionsf\u00e4higkeit der Einrichtung zu ermitteln.\u00a0Der Gesch\u00e4digte tr\u00e4gt in der Regel die Beweislast f\u00fcr alle anspruchsbegr\u00fcndenden Voraussetzungen\u00a0wie Vertrags – bzw. Rechtsgutsverletzung, Schaden, Kausalit\u00e4t und Verschulden.\u00a0Dies wird ihm h\u00e4ufig sehr schwer gelingen, da ihm der Einblick in die Sph\u00e4re des Krankenhaus-\u00a0bzw. Pflegeheimbetriebes fehlt. Aus diesem Grunde greifen zugunsten des Gesch\u00e4digten\u00a0Beweiserleichterungen ein. Dies ist im Folgenden das zentrale Thema.<\/p>\n Hierzu einige einschl\u00e4gige Texte:<\/p>\n\n
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