Urteile Verkehrsrecht

OLG Düsseldorf Urteil vom 26.2.99 AZ: 22 U 201/98

Verkehrsrecht

Aufsichtspflichtverletzung eines Elternteils: Gesamtschuldnerische Haftung mit Schädiger bei fahrlässig mitverursachter Verletzung des eigenen Kindes; Sorgfaltswidrigkeit einer kurzfristigen Nichtbeaufsichtigung.

Leitsatz

1. Die Haftung der Eltern gegenüber ihrem Kind für durch Verletzung der Aufsichtspflicht verursachte Schäden ist gem BGB § 1664 Abs 1 auf die Sorgfalt beschränkt, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen; das gilt auch im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs.

2. Die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten ist nicht verletzt, wenn eine Mutter ihr dreijähriges Kind kurzzeitig mit einer Spielzeugpistole allein läßt, das Kind aber aus eigener Kraft die Pistole nicht spannen kann und auch nicht über die zugehörigen Pfeile verfügt.

Fundstellen: NJW-RR 1999, 1042-1043 (Leitsatz und Gründe); FamRZ 2000, 438-439 (Leitsatz und Gründe).

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten zu 1) wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 12. August 1998 teilweise abgeändert und die Klage auch gegen die Beklagte zu 1) abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe

1 Die zulässige Berufung der Beklagten zu 1) hat auch in der Sache Erfolg. Der Klägerin steht gegen die Beklagte zu 1) kein Anspruch auf anteiligen Ausgleich der von ihr an den Sohn der Beklagten erbrachten Schmerzensgeldzahlung zu.

2 Als Anspruchsgrundlage kommt nur § 426 Abs. 2 BGB in Betracht. Die dafür erforderliche Voraussetzung, daß die Beklagte zu 1) ihrerseits als Gesamtschuldnerin neben der Versicherungsnehmerin der Klägerin ihrem Sohn gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet wäre, ist nicht erfüllt.

3 Eine Schadensersatzpflicht der Beklagten zu 1) gegenüber ihrem Sohn aus §§ 823 Abs. 1 BGB und 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 230 a.F. StGB besteht nicht, auch wenn sie dadurch, daß sie ihrem nur drei Jahre alten Sohn die Spielzeugpistole überließ und ihn, wenn auch nur kurze Zeit, damit unbeaufsichtigt ließ, objektiv ihre Aufsichtspflicht verletzt hat.

4 Die Haftung der Beklagten zu 1) ist nämlich gemäß § 1664 Abs. 1 BGB auf die Sorgfalt beschränkt, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt. Dieser Sorgfaltsmaßstab ist hier nicht verletzt.

5 Mit dem OLG Hamm (OLGR Hamm 1992, 197, 199 = NJW 1993, 542) und entgegen OLG Stuttgart (VersR 1980, 952) ist die Anwendbarkeit § 1664 BGB auf Fälle der vorliegenden Art zu bejahen, was der Senat in der Vorentscheidung 22 U 5/97 (OLGR Düsseldorf 1998, 52-54 = NJW-RR 1998, 98/99 = VersR 1998, 721/722 = FamRZ 1998, 234-dort nur LS) unentschieden gelassen hat. Das OLG Hamm weist zu Recht darauf hin, daß Haftungserleichterungen wie in § 1664 BGB auf umfassende Wirkung angelegt und Ausnahmen daher nur gerechtfertigt sind, wenn besondere Regeln, wie etwa im Straßenverkehr, gelten. Die Vorschrift ist nicht auf die Vermögenssorge beschränkt, erfaßt daher auch die Personensorge. Im Rahmen der Personensorge gemäß § 1631 BGB ist aber die Aufsicht neben der Erziehung und der Pflege zentrale Aufgabe der Eltern. Ihre Verletzung beinhaltet aufgrund der Garantenstellung der Eltern bei daraus folgenden Gesundheitsschädigungen regelmäßig auch eine unerlaubte Handlung. Diesen ganzen Bereich aus der Anwendung des § 1664 BGB auszunehmen, erscheint wegen der umfassenden Anlage der Vorschrift nicht gerechtfertigt (so auch Soergel-Strätz, BGB, 12. Aufl., § 1664 Rdn. 4, a.A. Hinz in Münchner Kommentar zum BGB, 3. Aufl., § 1664 Rdn. 6; Staudinger-Engler, BGB, 12. Aufl., § 1664 Rdn. 4).

Auch führt das OLG Hamm zutreffend aus, daß § 832 BGB eine ausdrückliche Regelung für den Fall enthält, daß aufgrund der Verletzung der Aufsichtspflicht Schädigungen Dritter eintreten, aber eben nicht für Schädigungen des eigenen Kindes. Schließlich können sich Eltern gegen die Inanspruchnahme aus § 832 BGB durch eine Haftpflichtversicherung schützen, nicht dagegen im Falle der Verletzung des eigenen Kindes, dem sie andererseits gerade für die Folgen eines solchen Falles persönliche Fürsorge und Schutz gewähren werden.

6 Wertungswidersprüche wegen einer Anrechnung des Verschuldens der Eltern bei älteren Kindern ergeben sich, wie das OLG Hamm (a.a.O. 199, 200) ausgeführt hat, unter diesem Gesichtspunkt nicht. Die Anrechnung eines Mitverschuldens über § 831 BGB dürfte kaum in Betracht kommen und § 278 BGB ist im Rahmen des haftungsbegründenden Verschuldens nicht anwendbar (vgl. BGHZ 103, 338, 343). Soweit eine Anrechnung unter dem Gesichtspunkt der Zurechnungseinheit in Betracht zu ziehen ist, dürfte ebenfalls § 1664 BGB anzuwenden sein, denn innerhalb der Zurechnungseinheit kann niemand stehen, der den Schaden nicht in zurechenbarer Weise verursacht hat (vgl. OLG Düsseldorf VersR 1982, 300, 301). Ist den Eltern im Verhältnis zum Kind der Schaden wegen der Einhaltung der gemäß § 1664 BGB zu fordernden Sorgfalt nicht zuzurechnen, so muß eine Anrechnung im Rahmen der Zurechnungseinheit Eltern-Kind ebenso ausscheiden, wie der fingierte Gesamtschuldnerausgleich zwischen Eltern und familienfremdem Schädiger (vgl. dazu BGHZ 103, 338, 346f.).

7 Die gemäß § 1664 BGB anzuwendende Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten hat die Beklagte nicht verletzt. Es handelt sich dabei um einen subjektiven Sorgfaltsmaßstab, der allerdings nicht von vornherein auf grobe Fahrlässigkeit beschränkt ist und den zentralen Stellenwert, den die Gesundheit der Kinder für die Eltern hat, berücksichtigen muß (BGHZ 103, 338, 345f.).

8 Grobe Fahrlässigkeit ist der Beklagten nicht anzulasten. Es ist nicht festzustellen, daß sie die Anstellung einfachster, ganz naheliegender Überlegungen versäumt hätte. Denn es ist unstreitig, daß der Sohn der Beklagte nicht über die zu der Spielzeugpistole gehörenden Pfeile verfügte und daß er aus eigener Kraft nicht in der Lage war, die Pistole zu spannen, sondern allenfalls bei Anwendung von Hilfsmitteln. Unstreitig ist auch, daß die Beklagte zu 1) nur für einen kurzen Moment die Kinder allein ließ und daß sie andererseits wußte, daß auch die Mutter des anderen Jungen die Kinder beobachtete. Wenn sie dann nicht damit rechnete, daß innerhalb der kurzen Zeit ihrer Abwesenheit nicht nur der andere Junge die Spielzeugpistole an sich nehmen, sondern auch noch einen passenden Stock finden und abschießen könnte, so ist das zwar fahrlässig, aber nicht grob fahrlässig. Auch die unterhalb der Grenze der groben Fahrlässigkeit unter Berücksichtigung des besonderen Schutzgutes der Gesundheit des Kindes anzusiedelnde Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten hat die Beklagte nicht verletzt. Im Rahmen dieses subjektiven Sorgfaltsmaßstabs ist zu berücksichtigen, daß die Beklagten es offenbar nicht für erforderlich hielten, solche Spielzeugpistolen gänzlich von ihrem kleinen Kind fernzuhalten, sondern es für ausreichend erachteten, daß das Kind nicht über die zu der Spielzeugpistole gehörenden Pfeile verfügte und aus eigener Kraft nicht in der Lage war, die Pistole zu spannen. Dies hielt die Beklagte zu 1) offenbar für ausreichende Sicherungen, damit während einer kurzen Zeit, in der das Kind unbeaufsichtigt blieb, ihm keine Gefahr drohte, so daß ihr subjektiv kein Vorwurf zu machen ist.

9 Damit scheidet eine Haftung der Beklagten aus, es kommt auch kein fingierter Gesamtschuldnerausgleich unter dem Gesichtspunkt des gestörten Innenverhältnisses in Betracht, da der Beklagten eine Mitbeteiligung wegen der Haftungsbeschränkung gemäß § 1664 BGB nicht zugerechnet werden kann und es damit schon an der Grundlage eines Gesamtschuldverhältnisses fehlt (vgl. BGHZ 103, 338, 345f.).

10 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

11 Gesetzliche Gründe, die die Zulassung der Revision gemäß § 546 Abs. 1 ZPO rechtfertigten, bestehen nicht.