Geburtsschaden

Fallgruppen des ärztlichen Fehlverhaltens

während der Schwangerschaft, bei der Entbindung und nach der Geburt

I. Grundsatz:

Die Betreuung der Schwangeren muss an das jeweilige Risiko angepasst werden.
Nach den Mutterschaftsrichtlinien ist das vorrangige Ziel der Schwangerenvorsorge die frühzeitige Erkennung von Risikoschwangerschaften und Risikogeburten. Durch die Richtlinien soll eine nach den Regeln der ärztlichen Kunst und unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standards der medizinischen Erkenntnisse ausreichende, zweckmäßige ärztliche Betreuung von der Schwangerschaft bis zur Geburt gewährleistet
sein1.

Die Mutterschaftsrichtlinien werden vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen beschlossen. Im Bundesanzeiger und Bundesärzteblatt ist die jeweilige Fassung veröffentlicht. Siehe hierzu die neuesten Mutterschaftsrichtlinien.

Wenn es auf die Fassung der Richtlinien zu einem bestimmten Zeitpunkt ankommt, so muss das Gericht und der Kläger die Mutterschaftsrichtlinien zugrunde legen, die zum Zeitpunkt des Schadenfalls galten.

II. Risiken während der Schwangerschaft:

1. Wachstumsretardierung ( Entwicklungsrückstand des Kindes):

Die Normalverteilung von Gewicht und Länge für das entsprechende Gestations – und Lebensalter kann aus Wachstumskurven entnommen werden. Erst nach der Geburt kann eine Wachstumsretardierung definitiv festgestellt werden. In der Schwangerschaft kann jedoch eine Wachstumsretardierung vermutet werden wenn, das durch Ultraschall geschätzte kindliche Gewicht um mindestens 2 Wochen gegenüber dem angegebenen Ultraschal – Normmeßwert zurückliegt 3.

OLG Saarbrücken, Urteil vom 04. Oktober 1995, 1 U 1099/93, in AHRS 2498/111:

In dem Unterlassen engmaschiger Ultraschalluntersuchungen bei Entwicklungsrückstand
des Fetus sowie einer alsbaldigen Abklärung der Ursachen der Wachstumsstörung und einer frühzeitigen Einweisung der Schwangeren in eine Klinik liegen erhebliche Fehlleistungen des Gynäkologen.

OLG München, OLGR 2001, 109: Lässt sich ab der 33.SSW kein wesentliches fetales Wachstum feststellen, dann erfordert
dies ein verstärktes Überwachen (Ultraschall-Kontrollen, CTG unter Wehenbelastung). Bei erkennbaren Entwicklungsstörungen muss der Gynäkologe einen Spezialisten hinzuziehen oder die Schwangere in ein Perinatalzentrum einweisen.

2. Vorzeitiger Blasensprung:

Als rechtszeitigen Blasensprung definiert man den Blasensprung bei vollständig eröffnetem Muttermund. Häufig tritt der frühzeitige Blasensprung auf, der nach Wehenbeginn, aber noch vor der vollständigen Eröffnung des Muttermundes erfolgt. Meist wird dadurch sogar der Geburtsablauf beschleunigt. Problematisch kann jedoch der vorzeitige Blasensprung sein, der bereits vor Wehenbeginn einsetzt.

Komplikationen:

  • Gefahr eines Nabelschnurvorfalls
  • erfolgt die Geburt nicht innerhalb der nächsten 24 Stunden, kann eine aufsteigende Infektion auftreten s.a.Amnioninfektionssyndrom
  • Frühgeburt

Maßnahmen:

  • sofortige Klinikeinweisung
  • Infektionsprophylaxe/Infektionstherapie
  • regelmäßige Kontrolle auf Entzündungszeichen (Temperatur-u.Blutkontrolle)
  • vor der 34. SSW: Wehenhemmung, Therapie der drohenden Frühgeburt
  • nach der 36. SSW: Geburtseinleitung (wenn die Geburt nicht innerhalb der nächsten Stunden erfolgt) bei Infektion alsbaldige Entbindung (Entbindungsmodus)

Grundsatz:

Bei einem vorzeitigen Blasensprung/Frühgeburtlichkeit muss nachhaltig, intensiv und kontrolliert reagiert werden.

Rechtsprechung:

OLG Celle in AHRS 2500/75, OLG Düsseldorf in AHRS 5000/47, OLG Hamburg in AHRS 6565/23, OLG Oldenburg in AHRS 2500/155: Wegen der Gefahr einer Infektion bei vorzeitigem Blasensprung muss die Geburt kurz gehalten werden und unter ständiger ärztlicher Überwachung und Kontrolle ablaufen.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 16. Februar 1995, 8 U 46/93, in AHRS 2498/108: Nach vorzeitigem Blasensprung ist eine engmaschige Überwachung der Schwangeren und des kindlichen Zustandes erforderlich. Zur Verhinderung einer Amnion-Infektion (=Infektion der Eihöhle, Placenta, Feten) ist vorsorglich ein wirksames Antibiotikum zu geben.

OLG Oldenburg, Urteil vom 18. Mai 1993, 5 U 141/92, in AHRS 2500/108: Nach Ablauf von 24 Stunden seit dem Blasensprung ist entweder eine medikamentöse Geburtseinleitung oder eine antibiotische Abschirmung vorzunehmen, oder es sind die Kontrollmaßnahmen über den üblichen Standard hinaus zu intensivieren.

OLG Stuttgart, VersR 2000, 362, 364: Bei Verdacht auf einen Blasensprung muss der Gynäkologe weitere Untersuchungen (Lackmustest, Spekulumeinstellung) vornehmen und gegebenenfalls die Schwangere auch stationär zu weiteren Abklärung und Kontrolluntersuchung einweisen.

BGH in AHRS 1220/112: Es muss ein Sicherheitsprogramm anlaufen, um bei Erreichen der 24-Stunden-Grenze ab Blasensprung ein Amnioninfektionssyndrom sicher auszuschließen.

OLG München AHRS 2500/131: Bei zunehmender Zeitdauer zwischen vorzeitigem Blasensprung und Geburtsbeginn steigt das Risiko einer Amnioninfektion an. Bei suspektem CTG und berechtigten Zweifeln am Wohlergehen des Kindes sind rechtzeitig Vorbereitungen für einen Kaiserschnitt zu treffen.

OLG Hamburg AHRS 6565/23: Wird die nach einem vorzeitigen Blasensprung in der 36.SSW gebotene Kaiserschnittentbindung hinausgezögert, so liegt ein grober Behandlungsfehler vor, der dem Arzt die Beweislast für das Fehlen der Schadensursächlichkeit auferlegt.

3. Amnioninfektionssyndrom (AIS): Darunter versteht man eine Infektion der Fruchthöhle evtl. mit der Beteiligung des Kindes und der Gebärmutter. Eine Infektion zeigt sich an folgenden Symptomen: mütterliches Fieber, Wehentätigkeit und kindliche Tachykardie.

Ursachen des AIS können sein:

Risikofaktoren:

  • ein vorzeitiger Blasensprung
  • ein sehr verzögert laufende Geburt
  • hohe Anzahl vaginaler Untersuchungen
  • Dauer des vorzeitigen Blasensprungs
  • Anwendung einer fetalen Kopfschwartenelektrode
  • Langandauernde Wehentätigkeit
  • Erstgebärende

Maßnahmen:

  • nach Diagnosestellung sofort antibiotische Behandlung
  • am sichersten ist eine baldige Entbindung (wenige Stunden nach Diagnosstellung, Antibiotika gelangen nur in sehr starker Verdünnung in die
    Amnionhöhle (Eihöhle)
  • Siehe auch unter Vorzeitiger Blasensprung.

4. Präeklampsie (EPH-Gestose)

Synonym für Hochdruckerkrankungen in der Schwangerschaft und Spätgestosen.

Symptome der Präeklampsie:

  • schwangerschaftsbedingter Bluthochdruck (Hypertonie)
  • Proteinurie (Eiweiß im Urin)
  • ödeme (Wassereinlagerungen)

Bei der Eklampsie treten neben den Symptomen der schweren Präeklampsie tonisch-klonische Krämpfe im letzten Schwangerschaftsdrittel auf.

Die Präeklampsie ist überwachungspflichtig, so müssen z.B. engmaschig CTG-Kontrollen, Fetometrie und Doppleruntersuchungen, Blutkontrollen und Laborkontrollen durchgeführt werden.

Therapie der leichten, unkomplizierten Präeklampsie:

  • Krampfprophylaxe (Bettruhe, Magnesiumgabe, eiweißreiche Diät)
  • Blutdrucksenkung
  • Die schwere Präeklampsie und Eklampsie bedürfen der Intensivüberwachung. Bei drohender Eklampsie und eklamptischem Anfall:

Es ist die Entbindung=Notsectio (unabhängig vom Schwangerschaftsalter) durchzuführen sobald die Schwangere stabilisiert und narkosefähig ist.
Nur ausnahmsweise bei weit fortgeschrittener Eröffnungsperiode kann eine vaginale Entbindung angestrebt werden.

Maßnahmen:

  • vor Zusatzverletzungen schützen
  • Ständige Kontrolle der Vitalfunktionen!
  • Medikamente: Dormicum bzw. Diazepam, Ebrantil, VEL-Infusion
  • Zugang vorbereiten
  • Intubation vorbereiten

Gefahren für die Mutter:

  • durch den Krampfanfall kommt es zur Minderversorgung des Gehirns
  • Ateminsuffizienz bis Atemstillstand
  • Hirnblutung, Hirnödem
  • Vorzeitige Placentalösung

Gefahren für das Kind:

  • Rückfall in einen erneuten Krampfanfall (durch optische und akustische Reize!)
  • mangelnde Placentafunktion
  • durch ungenügende Sauerstoffversorgung Mangelentwicklung
  • Evtl. intrauteriner Fruchttod (durch Hypoxie bzw. vorzeitige Placentaablösung)

5. Übertragung (Geburtsterminüberschreitung):

Eine Übertragung liegt vor wenn 42 Wochen bzw. 294 Tage seit dem ersten Tag der letzten Monatsblutung vergangen sind und die Geburt noch nicht erfolgt ist. Allerdings kann im Einzelfall eine Überschreitung der Norm von 281 Tagen um über 14 Tage notwendig sein, damit eine normale kindliche Reife erreicht wird. Bei einer Terminüberschreitung um 14 Tage und mehr nimmt die kindliche Sterblichkeit jedoch, im Vergleich zu termingerecht geborenen Kindern, im Durchschnitt zu.

Überwachung:

  • Intensivüberwachung, CTG zweitägig, Fruchtwasserbestimmung (Menge, Farbe, Gewichtsschätzung durch Ultraschall.

Risiken:

Auftreten einer Plazentainsuffiziens (Funktionseinschränkung desMutterkuchens), die zur Austrocknung des Kindes oder einer Einschränkung / Behinderung des Wachstums führen kann und möglicherweise die Empfindlichkeit gegenüber den Gefahren der Geburt erhöht, auch der kindliche Tod kann dadurch verursacht werden.

Weiteres Wachstum, das zu Komplikationen führen kann, die mit einem übergroßen Kind verbunden sind Achtung bei Makrosomie (übergroßem Kind): Gefahr der Schulterdystokie.

Maßnahmen:

  • Bei Vorliegen einer echten Übertragung Beendigung der Schwangerschaft möglichst auf vaginalem Weg durch Wehenerzeugung.
  • Gelingt die Geburtseinleitung nicht oder verschlechtert sich der Kindeszustand ist eine sofortige Schnittentbindung durchzuführen.

III. Risiken während der Entbindung:

1. Frühgeburt:

Als Frühgeburt bezeichnet man die Geburt vor der vollendeten 37 SSW.

Risikofaktoren:

  • mütterliches Alter (35 Jahre)
  • Raucherin
  • vorausgegangene Frühgeburten
  • vorausgegangene Totgeburten
  • mehr als 2 Fehlgeburten
  • uterine Blutung (Blutung in der Gebärmutter)
  • Mehrlinge
  • Placenta praevia (atypische Lage des Mutterkuchens im unteren Gebärmutterbereich)
  • SIH (Gruppe schwangerschaftsspezifische Erkrankungen mit dem Hauptsymptom arterieller Bluthochdruck)
  • Harnwegsinfektion
  • vaginale Infektion

2. Drohende Frühgeburt:

Voraussetzung für eine schwangerschaftsverlängerte Behandlung ist das kindliche Wohlbefinden. Dies ist mittels Ultraschall und CTG festzustellen ist. Eine Schwangerschaftsverlängerung ist nicht angezeigt wenn das Kind durch Plazentainsuffiziens (Funktionseinschränkung des Mutterkuchens) oder Sauerstoffmangel bedroht ist.

Behandlung:

  • Ruhigstellung
  • Wehenhemmung (durch Gabe von Betamimetika,z.B. Partusisten, Prostaglandininhibitoren, Oxytocinantagonisten,Nitroglycerin)
  • Antibiotikagabe
  • Cerclage (Zervixverschluß=Verschluß des Gebärmutterhalses) bei Zervixinsuffiziens

Rechtsprechung:

OLG Karlsruhe, Urteil vom 06. April 1994, 13 U 46/92, in AHRS 2498/104 und 6565/111: Es liegt ein grober Behandlungsfehler vor, wenn der Allgemeinmediziner bei einer über Schmerzen im Beckenbereich klagenden Schwangeren lediglich ein CTG-Protokoll erstellen lässt und Abführmittel verschreibt, nicht aber auf die Gefahr einer drohenden Frühgeburt hinweist und für eine sofortige stationäre gynäkologische Untersuchung sorgt.

3. Mehrlingsschwangerschaften:

Grundsatz:

Jede Mehrlingsschwangerschaft ist als Risikoschwangerschaft zu betrachten und bedarf daher besonderen Überwachung

Die Vorsorgeuntersuchungen sind 14tägig bis zur 28.SSW durchzuführen, danach wöchentlich Schwangerschaftsbetreuung:

  • frühzeitigen Diagnostik der Mehrlingsschwangerschaft
  • Fehlbildungsdiagnostik
  • Vorbeugung der Frühgeburt
  • Minderwachstum erkennen (intrauterine Hypotrophie)
  • Schwangerschaftsbeendigung: nach der 38.SSW empfohlen, um ein Absterben im Mutterleib zu vermeiden
  • ein standardisierter Geburtsmodus (primäre Sectio oder u.U. bei entsprechenden Voraussetzungen vaginale Geburtsleitung) ist nicht akzeptiert, es ist außerdem grundsätzlich zwischen Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen zu unterscheiden

Indikationen für eine primäre Schnittentbindung:

  • Drillinge, höhergradige Mehrlinge
  • Monoamniote Zwillinge (in einer Fruchthöhle)
  • Zwillinge mit Ultraschallschätzgewicht unter 1800 g
  • Gewichtunterschied der Zwilling > 20 %
  • Vorangehender Zwilling in BEL (Beckenendlage) oder QL (Querlage)

Operationsvoraussetzungen:

  • erfahrene Geburtshelfer bzgl. der operativen Entwicklung von Mehrlingen aus Lageanomalien und Fehleinstellungen, unstillbarer postpartaler Blutungen ggf. Hysterektomie.

Rechtsprechung:

OLG Köln in AHRS 2498/7: Jede Zwillingsschwangerschaft bedarf als Risikoschwangerschaft engmaschiger Kontrolle und eventuell frühzeitiger stationärer Einweisung.

OLG Hamm, Urteil vom 03. Mai 1995, 3 U 68/94, in AHRS 2498/110: Die geburtshilfliche Betreuung ist insgesamt als grob fehlerhaft anzusehen, wenn es während einer Zwillingsschwangerschaft an den gebotenen Untersuchungen über den Zustand der Feten fehlt, in der Eröffnungsphase der Frühgeburt die erforderliche Geburtsverzögerung mittels Tokolyse sowie die notwendige kontinuierliche Beobachtung von Mutter und Kindern durch CTG-Kontrollen und Kontrollen des Muttermundes unterbleiben, selbst bei hochpathologischen CTG keine Dauerüberwachung erfolgt, ohne Kenntnis des Zustandes des Muttermundes eine Herabsetzung von Tokolyse – Dosis vorgenommen wird und selbst nach drastischer Verschlechterung des fetalen Zustandes von einer Notsectio abgesehen wird.

3. Lageabweichungen (von der normalen vorderen Hinterhauptslage, dabei nimmt das Kind eine Längslage ein und der Kopf befindet sich unten/ Beckenendlage): Eine Abweichung von der Normallage birgt die Gefahren einer Verzögerung oder eines Geburtsstillstandes und kann unter solchen Umständen zu Schädigungen des Kindes führen. Die Häufigkeit des Auftretens von Lageabweichungen liegt jedoch unter 5 %. Unterschieden wird zwischen Beckenendlagen und Schräg- bzw. Querlagen, wobei die zuletzt genannten sehr selten vorkommen.

Bei Beckenendlagen steht der Kopf nach oben.

Die vaginale Geburt birgt die Gefahr, dass der Kopf im Becken stecken bleibt und dabei die Nabelschnur abklemmt (der Bauch ist ja schon draußen). Da zu diesem Zeitpunkt die Gebärmutter schon leer ist und sich zusammenzieht, ist sie schlechter durchblutet. Hinzu kommt, daß die abgeklemmte Nabelschnur und die sich unter Umständen schon ablösende Placenta, die den Sauerstoffmangel noch verstärken. Dadurch kann das Gehirn des Kindes schon nach wenigen Minuten geschädigt sein.

Nach der Empfehlung der DGGG zur Beckenendlage aus 1992 muss die Entscheidung zur vaginalen Beckenendlagengeburt genauso sorgfältig getroffen werden wie die zur Sectio. Die personellen, apparativen und geburtsmechanischen Voraussetzungen müssen gegeben sein, um das Risiko einer vaginalen Beckenendlage zu beherrschen.

Allerdings besteht ein Schulenstreit innerhalb der Geburtshilfe. Zum einen wird vertreten, dass bei Beckenendlage die Sectio die überwiegende Entbindungsart ohne Einschränkung bleiben wird. Eine Beeinflussung der Schwangeren in eine andere Richtung trotz bestehenden Wunsches nach einer primären Sectio sei nicht frauenorientiert (Prof. Wenderlein, Frauenarzt 2002, S. 575 Nach einer anderen Meinung bestünde jedoch trotz der aktuellen evidenzbasierten Aktenlage keine generelle Empfehlung zur selektiven Schnittentbindung (Feige, GebFra-Refresher Dez. 2003, S. 247).

Maßnahmen:

Wenn im letzten Schwangerschaftsdrittel eine Beckenendlage erkannt wird, kann versucht werden, die Lage von außen zu korrigieren ( durch Massage, spezielle Techniken). Dies ist jedoch sehr umstritten, da Erfolge nicht klar erwiesen sind und schwerwiegende Komplikationen auftreten können.

Da die Steißlagengeburt zahlreiche Risiken in sich birgt, wird fast immer, gerade bei Erstgebärenden, eine geplante Schnittentbindung vorgezogen. Für den eher seltenen Fall der vaginalen Entbindung gibt es genaue Voraussetzungen und Vorschriften:

  • das Kind befindet sich in einer einfachen Steißlage und hat keinen übergroßen Kopf,
  • die Schwangere hat schon ein Kind ausgetragen,
  • das Gewicht des Babys wird auf 2500-3000 g geschätzt,
  • die 36. bis 42. SSW, dem Kind geht es sehr gut,
  • die Geburt verläuft normal (Wehenfortschritt, öffnen des Muttermundes, Absenken des Steißes ins Becken),
  • der Geburtshelfer ist mit der Situation vertraut und
  • Anästhesie und Operation sind notfalls sofort durchführbar.

Rechtsprechung:

OLG Braunschweig in VersR 1988, 382: Der eine Schwangere betreuende Arzt ist verpflichtet, diese bei Vorliegen einer Beckenendlage über Risiken und Gefahren einer Schnittentbindung und einer vaginalen Entbindung aufzuklären.

OLG Hamm in VersR 1989, 255: Bei Verdacht auf Beckenlage ist es ein grober Behandlungsfehler, wenn der die Schwangere betreuende Arzt vor der Entscheidung für eine vaginale Entbindung nicht durch eine Ultraschalluntersuchung das Vorliegen eines etwaigen Missverhältnisses zwischen Kopf und Rumpf des Kindes ausschließt.

BGH in VersR 1989, 25: Drohen dem Kind bei vaginaler Geburt ernst zu nehmende Gefahren (in diesem Fall lag eine Beckenendlage vor) und sprechen deshalb gewichtige Gründe für eine Kaiserschnittentbindung, darf der Arzt sich nicht eigenmächtig für eine vaginale Geburt entscheiden.

OLG Düsseldorf in NJW 1997, 2457: Der Geburtshelfer, der im Fall der Beckenendlage vertretbar auf einen Kaiserschnittoperation verzichtet, weil er aus Überzeugung und auf Grund seiner geburtshilflichen Fähigkeiten eine vaginale Entbindung bevorzugt, hat die Patientin an der die Entbindungsmethode betreffenden Entscheidung zu beteiligen und ihre Einwilligung in die vaginale Entbindung herbeizuführen.

OLG Celle, Urteil vom 05. Juni 1993, 1 U 50/91, in AHRS 2500/111: Zu den typischen Risikofaktoren, die einen Kaiserschnitt erforderlich machen: Dieser ist nicht schon allein wegen einer Beckenendlage geboten. Für eine Vaginalentbindung muss das Mindestmaß der Konjugata vera (= Abstand vom vorspringenden vorderen oberen Rand des ersten Sakralwirbels zum prominentesten Punkt der Symphysenhinterfläche) 11 cm betragen.

4. Mekoniumaspirationssyndrom

(Infektion des Kindes durch Aufnahme von frühzeitig abgesetzten eigenen Darmausscheidungen):

Rechtsprechung:

OLG Koblenz, VersR 1992, 61: Ein neugeborenes Kind muß in den ersten 20 Minuten nach der Geburt überwacht werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn es nach der Geburt mit Mekonium (Darmausscheidung) verschmiert ist, da dann die Gefahr besteht, dass das Kind intrauterin (in der Gebärmutter) oder postpartal (nach der Geburt) Mekonium aspiriert (eingeatmet) hat.

IV. Medizinische Eingriffe:

1. Voraussetzung für die Geburtseinleitung:

Der Geburtsvorgang wird durch künstliche Wehentätigkeit in Gang gesetzt. Die Einleitung der Geburt kann durch die künstliche Eröffnung der Fruchtblase (Amniotomie) oder die Gabe von wehenauslösenden Medikamenten (Hormone Oxytocin und Prostaglandin) erfolgen.

Voraussetzung dafür ist, dass eine vaginale Geburt möglich ist und bestimmte Anwendungsgründe (Indikationen) dafür bei der Mutter oder dem Kind vorliegen.

Mütterliche Indikationen:

  • vorzeitiger Blasensprung und Amnioninfektionssyndrom (unspezifische Infektionen der Eihöhle, des Mutterkuchens, des Fruchtwassers oder des ungeborenen Kindes)
  • Wehenschwäche bei deutlicher Terminüberschreitung
  • Diabetes oder andere Erkrankungen
  • Risikoschwangerschaft aufgrund einer Präeklampsie (auch Gestose genannt), die durch Bluthochdruck, erhöhte Eiweißwerte im Urin, Ödeme gekennzeichnet ist, wobei die Gefahr eines Krampfanfalls besteht) oder eines HELLP-Syndroms (besonders gefährliche Variante einer Gestose)

Kindliche Indikationen:

  • chronische Plazentainsuffiziens ( dauerhafte Störung der Funktionsfähigkeit des Mutterkuchens)
  • grünes Fruchtwasser (Warnsignal für einen Sauerstoffmangel des Kindes)
  • Wachstumsstörung
  • Übertragung ab der 42.SSW
  • verdächtiges CTG
  • positiver Wehenbelastungstest
  • Rhesusunverträglichkeit und andere Erkrankungen

2. Voraussetzungen für äußere Wendungen (bei Lageanomalien):

Wenn im letzten Schwangerschaftsdrittel eine Beckenendlage erkannt wird, kann versucht werden, die Lage von außen zu korrigieren ( durch Massage, spezielle Techniken). Dies ist jedoch sehr umstritten, da Erfolge nicht klar erwiesen sind und schwerwiegende Komplikationen auftreten können.

3. Vakuumextraktion (Entbindung aus Beckenmitte mit Saugglocke) / Zangengeburt:

Bei der Vakuumentbindung wie auch bei der Entbindung mit der Zange (Forceps) handelt es sich um vaginale-operative Entbindungen. Die Saugglocke ist eine besonders geformte Schale aus Metall oder Kunststoff, die an den Kopf des Kindes angelegt wird. Sie ist mit einer Unterdruckpumpe verbunden, über die ein luftleerer Raum (Vakuum) erzeugt wird. Auf diese Weise saugt sich die Glocke am Kopf des Kindes fest. Im Rhythmus der Wehen zieht der Arzt so das Kind schließlich aus dem Becken heraus.

Die instrumentellen Entbindungen bedürfen einer ärztlichen Manualhilfe und erfordern eine eindeutige Indikation.

Die DGGG hat in ihren Empfehlungen von 1996 und 1999 Vorgaben für die vaginal-operative Entbindung veröffentlicht (Frauenarzt 1996, 1003).

Grundsatz:

Bei fetaler Hypoxie/fetaler Aszidose ist die Indikation zur vaginal-operativen Entbindung aus Beckenmitte wegen der eingeschränkten Belastbarkeit des Kindes restriktiv zu stellen, um im Zweifelsfall der Sectio caesarea der Vorzug zu geben.

Zu einer Entbindung mithilfe der Saugglocke kann es kommen, wenn:

  • die Mutter während der Entbindung nicht mehr genügend Kraft zum Pressen hat, weil sich zum Beispiel die Geburt schon zu lange hinzieht,
  • die Mutter aus gesundheitlichen Gründen nicht pressen darf,
  • der Kopf des Kindes schon tief im Becken steht und Veränderungen der Herztöne anzeigen, dass das Baby nicht genügend Sauerstoff bekommt,
  • die Mutter nicht mitpressen kann, weil sie nach einer örtlichen Betäubung im unteren Lendenwirbelbereich (Periduralanästhesie) die Wehen nicht mehr spürt und deshalb nicht mitpressen kann.

Rechtsprechung:

OLG Hamburg in AHRS 2500/6: Die Entscheidung für eine Zangengeburt statt Kaiserschnitt erfordert, dass geburtsmechanische Voraussetzungen für eine Zangengeburt vorliegen.

OLG Stuttgart in AHRS 2500/107: Voraussetzung für eine vaginal-operative Entbindung ist, dass sich das Kind mindestens in Beckenmitte befindet.

OLG Braunschweig in NJW-RR 2000, 238: Das bloße Abrutschen der Saugglocke indiziert keinen Behandlungsfehler.

4. Voraussetzung für die Notsectio (Schnittentbindung): Unterscheidung zwischen geplanter, primärer und sekundärer Sectio (Notsectio).

Voraussetzung für die Notsectio: einen sekundären Kaiserschnitt ist durchzuführen, wenn:

  • das Kind durch eine abgeklemmte Nabelschnur zu wenig Sauerstoff bekommt,
  • sich die Nabelschnur um den Hals des Kindes gewickelt hat und es dadurch zu wenig Sauerstoff bekommt,
  • das Risiko einer Zangen- oder Saugglockengeburt größer ist als das eines Kaiserschnitts, die Geburt aber schnell beendet werden muss,
  • die Wehen ausbleiben oder die Mutter keine Kraft mehr hat zum Pressen,
  • der Kopf des Kindes im Geburtskanal stecken bleibt,
  • die Gebärmutter zu reißen droht (Uterusruptur).

Da ein solcher Notfallkaiserschnitt immer sehr schnell durchgeführt werden muss, kann dies nur unter Vollnarkose geschehen. Auf die Wirkung einer örtlichen Betäubung durch eine Spritze müsste man zu lange warten.

Es gibt für die Durchführung einer Notsectio einzuhaltende Richtlinien, so muss z..B. spätestens nach 20 Minuten das Kind geboren sein, nach dem die ärztliche Entscheidung dazu getroffen werden DGGG 2004 – Leitlinien, Empfehlungen und Stellungnahmen) vorgegeben.

Rechtsprechung:

BGH in AHRS 4490/100 und BGH in AHRS 449/101: Drohen im Fall einer vaginalen Geburt dem Kind erkennbar ernst zu nehmende Gefahren und ist daher die Schnittentbindung indiziert, darf der Arzt nicht eigenmächtig entscheiden, sondern muss die bestehenden Alternativen mit ihren jeweiligen spezifischen Risiken, Vor- und Nachteilen für Mutter und Kind deutlich herausstellen und die Entscheidung der Gebärenden einholen.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 18. Januar 1996, 8 U 154/92, in AHRS 2498/112: Auch bei prägpathologischen bis pathologischen CTG-Aufzeichnungen kann es vertretbar sein, die weitere Reifung der Leibesfrucht abzuwarten und von einer Sectio zunächst abzusehen. Bei hochpathologischer Herztonkurve ist jedoch ein weiteres Zuwarten grob fehlerhaft.

OLG Hamm, Urteil vom 01. Februar 1993, 3 U 65/92, in AHRS 2500/101 u. 6770/100, mit weiteren Entscheidungsgründen: Verlässt der Geburtshelfer trotz deutlicher Anzeichen für die Indikation einer alsbaldigen Sectio das Krankenhaus, so liegt ein grober Behandlungsfehler vor.

OLG Schleswig, Urteil vom 24. Februar 1993, 4 U 18/91, in AHRS 2500/103: Bei feststellbarer Sauerstoffminderversorgung, wiederholtem Abfall der Herzfrequenz und Eintritt eines Geburtsstillstandes ist unverzüglich die Entscheidung über eine Schnittentbindung herbeizuführen.

OLG Hamm, Urteil vom 05. März 1993, 4 U 1/91, in AHRS 2500/104: Die Vornahme einer Sectio bedarf einer strengen Indikation. Ein Blasensprung ist nur dann als Geburtsbeginn anzusehen, wenn ihm regelmäßige, zur Geburt führende Wehen folgen, die mindestens alle zehn Minuten auftreten, cervix-wirksam und schmerzhaft sind.

OLG Celle, Urteil vom 05. Juni 1993, 1 U 50/91, in AHRS 2500/111: Zu den typischen Risikofaktoren, die einen Kaiserschnitt erforderlich machen: Dieser ist nicht schon allein wegen einer Beckenendlage geboten. Für eine Vaginalentbindung muss das Mindestmaß der Konjugata vera (= Abstand vom vorspringenden vorderen oberen Rand des ersten Sakralwirbels zum prominentesten Punkt der Symphysenhinterfläche) 11 cm betragen.

Insbesondere zur E-E-Zeit Zeit zwischen der Entscheidung zur Sectio und der Entwicklung des Kindes): Nach der Stellungnahme der DGGG müssen die organisatorischen Abläufe verbessert werden, wenn E-E-Zeiten über 20 Minuten vorliegen (DGGG, Frauenarzt 1992, 261) Aufgrund einer Optimierung des innerklinischen Managements in einem Perinatalzentrum und Krankenhaus mit Maximalversorgung werden E-E-Zeiten erreicht, die deutlich unter 15 Minuten liegen (Prof. Hitschold in Frauenarzt 2003, 971).

Rechtssprechung: 

OLG Saarbrücken in OLGR 1999, 460, 463: Seit 1996 ist eine E-E-Zeit von 20 Minuten einzuhalten.

OLG Braunschweig in MDR 1998, 907: Ein Notfallkrankenhaus muss sicherstellen, dass eine erforderliche Schnittentbindung innerhalb von 20-25 Minuten nach Indikationsstellung durchgeführt werden kann.

OLG München in VersR 1996, 63: Liegt bei einer Risikogeburt zwar noch keine Indikation für eine Sectio, aber bereits ein suspektes CTG vor, so muss der geburtsleitende Gynäkologe für eine rechtzeitige Herstellung der Sectiobereitschaft sorgen, vor allem, wenn diese wegen der örtlichen Verhältnisse des Krankenhauses nicht von vornherein kurzfristig gesichert ist.

Zur E-E-Zeit (Zeit zwischen dem Erkennen des Notfalls und der Entscheidung zur Sectio):

Die fachärztliche Literatur führt dazu aus, dass die Leistungsfähigkeit einer Geburtsklinik daran gemessen werden könne, wie kurz die Zeitdauer zwischen Erkennen der Notsituation und Entscheidung zur notfallmäßigen Entbindung ist.

Rechtsprechung:

OLG Schleswig in VersR 1994, 310: Ein grober Behandlungsfehler liegt vor, wenn die Verzögerung der ärztlichen Entscheidung für die Vornahme einer Schnittentbindung aus objektiver Sicht nicht mehr nachvollziehbar ist, da eine Sauerstoffminderversorgung bereits festgestellt und ein Geburtsstillstand eingetreten war.

Bei der Gesamtbeurteilung eines Behandlungsverlaufs ist auch die Summierung vermeidbarer Zeitverluste bis zum Beginn der erforderlichen Operation zu berücksichtigen, wobei auch geringfügige Verzögerungen von Bedeutung sein können.

OLG Hamm in VersR 1980, 684: Ist in einer Entbindungsstation eines Krankenhauses der behandelnde Arzt nicht zu der Zeit anwesend in der über das weitere ärztliche Vorgehen eine Entscheidung getroffen werden muss, liegt ein grober Behandlungsfehler vor.

OLG München in VersR 1991,586: Es muss organisatorisch sichergestellt werden, dass die Entscheidung zur Notsectio rechtzeitig getroffen werden kann.

OLG Schleswig in AHRS 2500/103: Bei feststellbarer Sauerstoffminderversorgung, wiederholtem Abfall der Herzfrequenz und Eintritt eines Geburtsstillstandes ist unverzüglich die Entscheidung über eine Schnittentbindung herbeizuführen.

Aufklärung über die Möglichkeit einer Schnittentbindung:

Über die Alternative einer Schnittentbindung müsse laut Rechtsprechung des BGH nur aufgeklärt werden, wenn diese medizinisch indiziert ist, also bei einer vaginalen Geburt ernsthafte Gefahren für das Kind drohen würden und somit die gewichtigeren Gründe für eine Schnittentbindung sprechen. Zudem müsse unter Berücksichtigung der Konstitution und der Befindlichkeit der Mutter in der konkreten Situation eine Schnittentbindung eine verantwortbare Alternative darstellen9.

Eine Pflicht zur Aufklärung bestehe nicht, wenn eine Schnittentbindung, auch bei Berücksichtigung der Größe des Kindes, nach Ansicht des Sachverständigen höchstens als erwägenswert zu bewerten war10.

5. Wunschsectio:

Die Wunschsectio ist aus medizinrechtlicher Sicht anerkannt (Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht der DGGG, Frauenarzt 2001, 1311.

Aus medizinrechtlicher Sicht ermöglicht das Selbstbestimmungsrecht der Frau eine Wunschsectio. Das Selbstbestimmungsrecht ist selbst dann zu achten, wenn der Arzt die Entscheidung der Frau für unvernünftig hält (DGGG, Frauenarzt 2001, 1311ff.

V. Die Notfälle:

Trotzdem machen manchmal bestimmte Situationen während der Geburt einen operativen Eingriff nötig. Sie können auch dann auftreten, wenn die Entbindung zunächst normal beginnt:

  • Durchblutungsstörungen der Plazenta,
  • die Zusammenpressung der Nabelschnur durch Knoten oder Umschlingungen,
  • Auffälligkeiten der kindlichen Herztöne.

In solchen Fällen ist dann entweder eine operative Entbindung über die Scheide mit Hilfe einer Zange oder Saugglocke notwendig oder es muss ein operativer Eingriff über den Bauch erfolgen (Schnittentbindung. Bei einem solchen Geburtsverlauf muss außer der Hebamme immer auch ein Arzt dabei sein.

1. Vorzeitige Placentalösung

Ursache: Einnisten des befruchteten Ei´s im unteren Uterusbereich oder Wachstum der Placenta in Richtung Muttermund (Placenta prävia) Durch Vorwehen in 2. Schwangerschaftshälfte Dehnung des unteren Gebärmutterteils mit Ablösung der Placenta.

Gefahr: akute Lebensgefahr für die Mutter durch starke, meist nicht zum Stillstand kommende Blutung; Sterben des Kindes im Mutterleib.

2. Placenta previa

3. Nabelschnurvorliegen und Nabelschnurvorfall

Ursachen: regelwidrige Kindslage, Frühgeburten, Blasensprung bei hochstehendem Kindskopf.

Gefahr: Abdrücken der Nabelschnur durch das Körpergewicht des Kindes oder Sauerstoffmangel mit allen entsprechenden Folgen für das Kind.

Maßnahmen: Schwangere nach Blasensprung nicht mehr laufen lassen und das Becken erhöht lagern.

4. Schulterdystokie:

Nach der Empfehlung der DGGG (Frauenarzt 1998, S.1396) ist auch beim Vorliegen einer sonstigen Risikokonstellation eine Aufklärung der Schwangeren hinsichtlich ihres speziellen Risikos für eine Schulterdystokie und deren Folgen, alternativer Entbindungsformen und deren Komplikationen sowie über die erhöhte kindliche Schädigungsgefahr bei vaginaler Entbindung notwendig.

Grundsätzlich gilt, dass alle diagnostischen Maßnahmen ausgeschöpft werden müssen, um dass Risiko ein Schulterdystokie abzuschätzen.

Es gibt kindliche, mütterliche und geburtshilfliche Parameter, die auf das Risiko einer Schulterdystokie hinweisen.

Kindliche Parameter:

  • geschätztes kindliches Geburtsgewicht,
  • Missverhältnis zwischen biparitalem Kopfdurchmesser und querem Thoraxdurchmesser = Makrosomieindex

Mütterliche Parameter:

  • mütterliches Geburtsgewicht/Übergewicht,
  • Schulterdystokie bei vorangegangener Geburt,
  • Diabetes Mellitus oder Gestationsdiabetes (Schwangerschaftsdiabetes),
  • Multiparität/erhöhtes mütterliches Alter

Geburtshilfliche Parameter (diese sind im Zusammenspiel mit dem kindlichen Geburtsgewicht zu bewerten):

  • Terminüberschreitung,
  • Verlängerte Austreibungsphase,
  • Verabreichung von Wehenmitteln,
  • Vaginal-operative Geburtshilfe, insbesondere aus Beckenmitte (vgl. auch BGH: VI ZR 34/00 13.02.2001).

Rechtsprechung:

OLG München, Urteil vom 25. Mai 1993, 24 U 21/91, in AHRS 2500/110: Ein voraussichtliches Übergewicht des zu entwickelnden Kindes kann wegen des erhöhten Risikos einer Schulterdystokie ( = gestörter Geburtsverlauf bei dem nach der Geburt des kindlichen Kopfes die vordere Schulter über der Symphyse hängen bleibt ) eine Schnittentbindung indizieren. Dieser kann jedoch die extreme Übergewichtigkeit der Kindesmutter mit der bei einer sectio bestehenden Gefahr einer Lungenembolie entgegenstehen. Die sonographische Bestimmung eines möglichen Übergewichts des Kindes von mehr als 5.000 Gramm erscheint für sich allein zu unsicher, um eine sectio zu verantworten.

OLG Stuttgart in VersR 1994, 1114: Die Kompetenz der Hebamme endet beim Auftreten einer Schulterdystokie. Der Träger eines Krankenhauses hat durch organisatorisch klare Anweisungen gegenüber den geburtsbetreuenden Hebammen zu gewährleisten, dass zur Entwicklung eines Kindes bei feststehender Schulterdystokie sofort ein Facharzt hinzugezogen wird.

OLG Hamm in VersR 1991, 228; OLG Hamm in VersR 1997, 1403; OLG Stuttgart in VersR 1994, 1114: Durch klare Anweisungen und Kreißsaalorganisation ist sicherzustellen, dass die Standardmaßnahmen beim Auftreten der Schulterdystokie vom erfahrensten Oberarzt ergriffen werden.

LG Hamburg, Urteil vom 28.06.1991, Az. 3 0 389/88: Es stellt ein Behandlungsfehler dar, wenn bei einer Risikokonstellation erst beim Auftreten einer Schulterdystokie der Oberarzt gerufen wird.

OLG Oldenburg VersR 1992, 453: Eine Risikogeburt ist nicht von einer Hebamme durchzuführen.

5. Verstärkte Blutung/ atonische Nachblutung:

Nachdem der Mutterkuchen geboren ist, muss sich die Gebärmutter zusammenziehen, um die Wundfläche, also die Haftfläche der Plazenta, zu verkleinern und die Gefäße zu verschließen. Geschieht dieses nicht, blutet es verstärkt.

Nachdem Reste vom Mutterkuchen ausgeschlossen wurden, müssen Wehenmittel zur Kontraktion der Gebärmutter gegeben werden, die Wehen werden unterstützt durch taktile Reizung, die Harnblase wird entleert.

Es bedarf einer genauen Überwachung der Kreislaufsituation.

Sollte die Blutung weiter bestehen, müssen übersehene Verletzungen ausgeschlossen werden. Durch stärkere Kontraktionsmittel auf Basis der Prostaglandine wird die Blutung meistens gestoppt.

In sehr seltenen Fällen müssen die Medikamente in die Gebärmutter direkt gespritzt werden, oder man tränkt eine Tamponade mit dem Medikament und stopft die Gebärmutter aus. Das ganze geschieht in Narkose.

Flüssigkeitszufuhr, eventuell auch Zufuhr von Blut und Blutbestandteilen kann in seltenen Fällen notwendig werden.

Falls alle Maßnahmen die Blutung nicht zum Stillstand bringen, kann es in extrem seltenen Fällen notwendig sein, die Gebärmutter notfallmäßig zu entfernen.

6. Uterusruptur

(Durchbruch der Gebärmutter, Risiko bei einer vaginalen Entbindung nach einer Schnittentbindung beim ersten Kind):

VI. Neugeborenenversorgung

1. Die Erstversorgung des Neugeborenen ist durch die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für perinatale Medizin (AWMF online – Leitlinie Neonatologie / Erstversorgung NeugeborenerAWMF online – Leitlinie Neonatologie / Betreuung Neugeborener im Kreißsaal) und der Empfehlung der DGGG ( DGGG 2004 – Leitlinien, Empfehlungen und Stellungnahmen) vorgegeben.

2. Bei kindlichem Stress ist eine frühzeitige und ausreichende Intervention geboten. Im Zweifel ist eine Behandlung durch einen erfahrenen Neoantologen geboten. Dabei gilt der Grundsatz, dass sofort und dauernd zu reagieren ist.

3. Rechtsprechung:

OLG Stuttgart, Urteil vom 4. Januar 2000: Für einen neonatologischen Notfall hat der Klinikträger ausreichende organisatorische Vorkehrungen zu treffen, insbesondere ist sicherzustellen, dass beim Auftreten von Atemnot ein kompetenter Arzt hinzugezogen wird. Der hinzugezogene Kinderarzt darf sich, wenn er für eine erforderliche Intubation des Neugeborenen keine ausreichenden Kenntnisse und Erfahrung besitzt, nicht mit einer Maskenbeatmung begnügen, sondern muss dafür sorgen, dass ein kompetenter Krankenhausarzt hinzugezogen wird.

OLG Koblenz, VersR 1992, 612: Ein neugeborenes Kind muß in den ersten 20 Minuten nach der Geburt überwacht werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn es nach der Geburt mit Mekonium (Darmausscheidung) verschmiert ist, da dann die Gefahr besteht, dass das Kind intrauterin (in der Gebärmutter) oder postpartal (nach der Geburt) Mekonium aspiriert (eingeatmet) hat.

OLG München, VersR 1997, 977: Wenn das Pflegepersonal eines Belegkrankenhauses bei einer nach mehreren Stunden nach der Geburt auftretenden bläulichen Verfärbung von Gesicht und Händen des Neugeborenen nicht unverzüglich einen Arzt hinzuzieht, liegt ein grobes Fehlverhalten vor.

OLG Hamm, VerR 1995, 341: Es liegt ein grober Behandlungsfehler vor, wenn die Temperatur eines frühgeborenen Kindes nicht ausreichend überwacht wird und es deshalb zu einer andauernden Unterkühlung kommt, die möglicherweise zu einer Hirnblutung geführt hat und hierfür generell geeignet war.

VII. Schnittstellenproblematik

Die Übergabe der Betreuung der Schwangeren vom Gynäkologen an die Entbindungsklinik :

  1. Es muß eine Aufklärung der Schwangeren durch den Gynäkologen über das persönliche Schwangerschafts- und Geburtsrisiko erfolgen.
  2. Die Schwangere ist in der gewählten Entbindungsklinik rechtzeitig vorzustellen, damit eine Planung des Entbindungsmodus erfolgen kann.
  3. Bei der Auswahl der Entbindungsklinik müssen die strukturellen und personellen Ausstattung der Kliniken berücksichtigt werden, also ob es sich z.B. um eine Klinik mit Maximalversorgung handelt oder nur um eine Belegklinik oder eine Klinik mit Grundversorgung (siehe Mutterschaftsrichtlinien Abschnitt 8)
  4. Es gilt der Grundsatz zu beachten Risikoschwangerschaften können Risikogeburten werden.
  5. Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe empfiehlt die Einweisung von Hochrisikoschwangerschaften in ein Perinatalzentrum. Des Weiteren wird dringend empfohlen, daß auch in Verdachtsfällen ein Perinatalzentrum zu konsultieren ist.

Eine eindeutige Definition einer Hochrisikoschwangerschaft sei schwierig. Bei den im Folgenden genannten Risiken kommt es jedoch statistisch gesehen häufiger zu schweren Komplikationen:

  • Alkoholabhängigkeit,
  • insulinpflichtiger Diabetes,
  • höhergradige Mehrlingsschwangerschaft,
  • Drogenabhängigkeit,
  • schwere Wachstumsretardierung (Verzögerung des Wachstums),
  • Wehen vor der 33.Schwangerschaftswoche,
  • Blutungen nach der 28.Schwangerschaftswoche,
  • schwere mütterliche Erkrankungen (Herz-Kreislauf, Lunge, Infektionen ?),
  • Erkrankungen des Fötus, falls eine Behandlung möglich erscheint, z.B. bei Blutgruppenunverträglichkeit, Hydrocephalus (Wasserkopf), Myelomengingocele ?),
  • schwere Formen der Schwangerschaftshypertonie (z.B. HELLP-Syndrom).

Bei der Übergabe der Betreuung der Schwangeren an die Geburtsklinik müssen alle während der Schwangerschaft erhobenen Informationen weitergegeben werden. Es darf an dieser Schnittstelle nicht zum Informationsverlust kommen. In diesem Bereich besteht ein erhebliches Fehler- und Schädigungspotential.

7. Rechtsprechung:

OLG Braunschweig, AHRS II, 2498/117: Der Frauenarzt ist verpflichtet, die Patientin darüber zu beraten, dass bei einer EPH-Gestose und retardiertem fetalen Wachstum eine stationäre Krankenhausbetreuung notwendig ist.

Verweise

  1. Dr. Gehrlein, Neuere Rechtsprechung zur Arzt-Berufshaftung, VersR 2004, 1488, 1491.
  2. Dr. Gehrlein, Neuere Rechtsprechung zur Arzt-Berufshaftung, VersR 2004, 1488, 1491; BGH vom 25.11.2003-VI ZR 8/03,VersR 2004, 645.
  3. Schneider/Schneider/Schlunk, Geburtshilfefibel 2.A,1997,S. 47
  4. Schneider/Schneider/Schlunk, Geburtshilfefibel 2.A,1997,S. 75,76.
  5. Schneider/Schneider/Schlunk, Geburtshilfefibel 2.A,1997,S. 78ff
  6. Schneider/Schneider/Schlunk, Geburtshilfefibel 2.A,1997,S. 78ff.
  7. Schneider/Schneider/Schlunk, Geburtshilfefibel 2.A,1997,S. 102ff , Dudenhausen, Pschyrembel, PraktischeGeburtshilfe, 19.A.,S. 91.
  8. Pschyrembel, Praktische Geburtshilfe, 19.A.,S. 83 ff.
  9. Dr. Gehrlein, Neuere Rechtsprechung zur Arzt-Berufshaftung, VersR 2004, 1488, 1491.
  10. BGH vom 25.11.2003-VI ZR 8/03, VersR 2004, 645; OLG Hamm vom 24.4.2002-3 U 8/01, VersR 2003, 1312.