Arzthaftungsrecht

Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz bei fehlerhafter Aufklärung

Macht der Patient Aufklärungsfehler des behandelnden Arztes oder Krankenhauses geltend, so braucht er nichts beweisen. Es genügt, dass er vorträgt bzw. behauptet, vom behandelnden Arzt oder Krankenhaus weder über den Eingriff noch über die damit verbundenen Risiken noch über bestehende alternative Behandlungsmethoden aufgeklärt worden zu sein. Behauptet er dieses, so muss der behandelnde Arzt bzw. das behandelnde Krankenhaus beweisen, dass er/es den Patienten umfassend und ordnungsgemäß aufgeklärt hat.

Gelingt dem Arzt oder Krankenhaus dieser Beweis nicht, dann stehen dem Patienten Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadensersatz sowie der gesetzlichen Krankenversicherung Ansprüche auf Schadensersatz gegen den schädigenden Arzt bzw. das schädigende Krankenhaus zu. In der Tat verhält es sich so, dass das Vorliegen von Aufklärungsfehlern genügt, um gegenüber dem schädigenden Arzt bzw. gegenüber dem schädigenden Krankenhaus Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Das Vorliegen von Behandlungsfehlern ist nicht daneben erforderlich.

Im Klartext: Aufklärungsfehler reichen völlig aus, um Schadensersatzansprüche gegen den schädigenden Arzt oder das schädigende Krankenhaus geltend zu machen!

In der Tat verhält es sich so, dass die meisten Arzthaftungsprozesse aufgrund von Aufklärungsfehlern gewonnen werden! Da Aufklärungsfehler eine große Chance für geschädigte Patienten und deren gesetzliche Krankenkassen darstellen können, stelle ich nachfolgend die einzelnen Aufklärungsfehlergruppen anhand neuerer Gerichtsentscheidungen da. Eine ordnungsgemäße Aufklärung setzt folgendes voraus: – eine Beschreibung des bevorstehenden Eingriffes, – eine Aufklärung über bestehende Behandlungsalternativen, – eine Aufklärung über sämtliche mit dem Eingriff verbundene Risiken, – eine Aufklärung über den Umfang der Erfolgschancen und des Misserfolges des beabsichtigten Eingriffs, – eine Aufklärung über die Dringlichkeit des Eingriffs, – eine rechtzeitige Aufklärung. Nur wenn der behandelnde Arzt den Patienten über sämtliche der oben genannten Punkte aufgeklärt hatte und die Aufklärung auch rechtzeitig war, liegt eine ordnungsgemäße Aufklärung vor.

Dies ist Grundlage sowie Voraussetzung für die wirksame Einwilligung des Patienten in den beabsichtigten Eingriff regelmäßig. War hingegen die Aufklärung nicht ordnungsgemäß, konnte der Patient auch nicht wirksam in die beabsichtigte Behandlung einwilligen. Die ärztliche Behandlung stellt dann eine rechtswidrige, fahrlässige Körperverletzung dar, welche regelmäßig Schmerzensgeld und Schadenersatzansprüche zur Folge hat (vgl. §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB).

Zu den einzelnen Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Aufklärung:

  • I. Aufklärung über den eigentlichen Eingriff: Zuerst ist zu prüfen, ob der Patient über den bevorstehenden Eingriff aufgeklärt wurde. Hierzu gehört z.B. die Beschreibung der Operationsmethode sowie die Beschreibung über die postoperative Behandlung.
  • II. Aufklärung über den Eingriff und die Behandlungsalternativen: Die nachfolgenden zwei Urteile werden beispielhaft vorgestellt:
    – 1. OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.2.03 (8 U 41/02) in VersR 2005, 230: Wenn zur Korrektur einer dislozierten Radiusbasisfraktur grundsätzlich sowohl eine konservative Behandlung als auch eine chirurgische Versorgung in Betracht kommen, sind die unterschiedlichen Therapiemöglichkeiten sowie ihre jeweiligen Chancen und Risiken vor  der Behandlung mit dem Patienten im einzelnen zu erörtern.
    – 2. OLG Hamm, Entscheidung vom 1. Dezember 2003 (3 U 128/03): Beim Achillessehnenabriss stellt die konservative Behandlung eine echte Behandlungsalternative zur operativen Therapie dar. Es muss daher sowohl über die konservative Alternativbehandlung als auch über die operative Behandlung gleichermaßen aufgeklärt werden.

III. Zur ordnungsgemäßen Risikoaufklärung:

Vor Beginn einer ärztlichen Behandlung muss der Arzt dem Patienten einen Überblick über sämtliche mit dem Eingriff verbundenen Gefahren verschaffen. Damit sind dauerhafte oder vorübergehende nachteilige Folgen eines Eingriffs gemeint, die sich auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht immer ausschließen lassen. Entscheidend für die ärztliche Aufklärungspflicht ist nicht ein bestimmter Grad der Risikoverwirklichung, insbesondere nicht eine bestimmte Statistik. Können im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Eingriff, Dauerschäden, wenn auch sehr selten auftreten, ist der Patient über diese seltenen Risiken aufzuklären, wenn sie bei ihrer Verwirklichung die Lebensführung des Patienten stark belasten würden.

Die Einwilligung des Patienten erstreckt sich regelmäßig nur auf Risiken, die auch  bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt nicht vermieden werden können. Verletzt der  Arzt jedoch im Rahmen der Behandlung aufgrund einer Sorgfaltspflichtverletzung  den Patienten, so wird diese Körperverletzung nie von der zuvor abgegebenen Einwilligung des Patienten abgedeckt sein.

Hinweis: Der Arzt muss über sämtliche, auch seltene, Risiken, die auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt auftreten können, den Patienten aufklären.

IV. Aufklärung über die Erfolgschancen des beabsichtigten Eingriffs:

Die Aufklärung des Patienten darf sich nicht auf das Risikopotential der beabsichtigten zahnärztlichen Maßnahme beschränken. Vielmehr muss der Patient auch darüber aufgeklärt werden, in welchem Umfang die Maßnahme möglicherweise trotz Einhaltung der gebotenen ärztlichen Sorgfaltspflicht Scheitern kann, z.B. bei geplanten kosmetischen Eingriffen. Erst wenn der Patient den Nutzen des Eingriffs und die Wahrscheinlichkeit seiner Realisierung einzuschätzen weiß, kann er eine wirksame Zustimmung abgegeben.

Die nachfolgenden zwei Urteile werden beispielhaft vorgestellt:

  • 1. Kammergericht, Entscheidung vom 15.12.2003, 20 U 105/02, im KG-Report 2004,212: Eine Aufklärung des Patienten hat nicht nur über die Risiken des Eingriffs zu erfolgen, sondern es sind auch die Heilungschancen aufzuzeigen. In diesem Fall verlangt die Patientin Schmerzensgeld und Schadensersatz vom Krankenhaus. Dort wurde sie zum Zwecke der Heilung eines Epilepsieleidens operiert. Dabei wurde sie aber nicht über die Erfolgschancen der Operation hinreichend aufgeklärt. Wäre die Patientin darüber aufgeklärt worden, dass diese Operation nur in 50 % der Fällen zu einer Beseitigung des Epilepsieleidens führen würde, hätte die Patientin in die Operation angesichts des hohen Risikos der Schädigung eines Gesichtsnervs mit einer halbseitigen Gesichtslähmung nicht eingewilligt. Der Patientin war daher ein Schmerzensgeld und ein Schadensersatzanspruch zuzusprechen.
  • 2. OLG Koblenz, VersR 2004, 1564: Über das Misserfolgsrisiko einer Operation ist selbst dann aufzuklären, wenn der konkrete  Eingriff in diesem Krankenhaus noch nie misslungen ist. Die Aufklärung muss sich insbesondere auf die Gefahr erstrecken, dass die Operation sogar zu einer Verschlimmerung der Beschwerden führen kann. In diesem Fall wurde die Patientin wegen einer Fehlstellung des linken Hüftgelenkes operiert. Dabei wurde sie nicht darüber aufgeklärt, dass diese Operation auch fehlschlagen könnte mit dem Ergebnis, dass die Leiden und Ausfälle und Beschwerden sich nicht bessern, sondern sogar verschlimmern würden. Wäre die Patientindarüber aufgeklärt worden, hätte sie in die Operation nicht eingewilligt. Ihr war daher Schmerzensgeld und Schadensersatz zuzusprechen.

V. Aufklärung über die Dringlichkeit des Eingriffs:

Kann eine Maßnahme noch aufgeschoben werden, so muss der Patient auch darüber aufgeklärt werden. Dem Arzt obliegt es in diesem Fall, die Vor- und Nachteile des sofortigen Tätigwerdens einerseits und die Vor- und Nachteilen des Abwartens darzustellen.

VI. Zur Rechtzeitigkeit der Aufklärung:

Die Rechtsprechung verlangt, dass der Patient über den beabsichtigten Eingriff so rechtzeitig unterrichtet wird, dass er die Vor- und Nachteile des Eingriffs selbst abwägen und damit wirksam seine Einwilligung erteilen kann. Im ambulanten Bereich genügt grundsätzlich, dass die Aufklärung am Tag des Eingriffs erfolgt. Bei bevorstehender stationärer Behandlung ist eine Aufklärung erst am Tag des Eingriffs hingegen grundsätzlich verspätet (vgl. BGH-Urteil vom 25. März 2003, VI ZR 131/02, das dargestellt wird).

Nachweis der Aufklärung sowie Beweislast:

Der Arzt trägt regelmäßig die Beweislast dafür, dass er den Patienten umfassend und ordnungsgemäß (vgl. die Punkte I. bis VI.) aufgeklärt hat. Der Patient braucht lediglich zu behaupten, dass die Aufklärung des Arztes nicht ausreichend war. Um eine ordnungsgemäße Aufklärung zu beweisen, genügt es in der Regel nicht, wenn der Arzt eine vom Patienten unterschriebene Einwilligungserklärung vorlegt.

Die Aushändigung und Unterschreibung von Aufklärungsbögen und Merkblättern ersetzen nicht das erforderliche Aufklärungsgespräch zwischen Arzt und Patient. Eine ordnungsgemäße Aufklärung des Patienten setzt zwingend ein umfassendes Gespräch zwischen Arzt und Patient voraus2. Die Existenz einer unterschriebenen Einwilligungserklärung des Patienten kann nur ein widerlegbares Indiz dafür sein, dass überhaupt ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat. Vgl. BGH-Urteil vom 15. März 2005, VI ZR 313/03: Der BGH führt in dieser Entscheidung aus, wie zu verfahren ist, wenn Aufklärungsfehler feststehen, d.h., wenn die Behandlungsseite eine ordnungsgemäße Aufklärung nicht nachweisen konnte. In einem solchen Fall geht es wie folgt weiter: Die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass sich der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung zu der tatsächlich durchgeführten Behandlung entschlossen hätte, trifft nicht den Patienten, sondern den Arzt. Der Arzt ist jedoch erst dann beweisbelastet, wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel macht, dass er – wären ihm rechtzeitig die Risiken der Behandlung verdeutlicht worden – vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte (vgl. BGH-Urteil vom 15. März 2005, VI ZR 313/03, S. 9 und S. 10).

Zum Entscheidungskonflikt:

Hierzu führt der BGH (a.a.o.) aus: „Im Rahmen der dem Tatrichter obliegenden Prüfung der Plausibilität eines Entscheidungskonflikts kommt es allein auf die persönliche Entscheidungssituation des konkreten Patienten aus damaliger Sicht an, nicht dagegen darauf, ob ein vernünftiger Patienten dem entsprechenden ärztlichen Rat gefolgt wäre. Maßgebend ist insoweit nicht, wie sich der Patient entschieden hätte. Ausreichend ist, dass er durch die Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt geraten wäre“. In einer anderen Entscheidung des sechsten Zivilsenats vom 1. Februar 2005, Az.: VI ZR 174/03 führt der BGH auf Seite 5 (unten) und Seite 6 (oben) aus: – Freilich trifft den Patienten die Verpflichtung plausibel darzulegen, weshalb er aus seiner Sicht bei Kenntnis der Aufklärungspflichten Umstände vor einem Entscheidungskonflikt gestanden hätte, ob er die ihm empfohlene Behandlung gleichwohl ablehnen sollen.

Dieser Verpflichtung ist die Klägerin jedoch in dem Schriftsatz vom 7. Februar 2003 nachgekommen. Dort ist im Einzelnen dargelegt, weshalb sie im Hinblick auf Ihre bestehenden Beeinträchtigungen und in Anbetracht ihres bisherigen Lebensweges ein Inkontinenzrisiko keinesfalls akzeptiert hätte. Diese Ausführungen genügen den Anforderungen, die der erkennende Senat an die Substantiierung des Vortrags des Patienten stellt.